4A_234/2016: Haftung des unentgeltlichen Rechtsvertreters (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht musste sich in diesem Urteil zur Haf­tung eines amtlich bestell­ten unent­geltlichen Rechtsvertreters äussern. Hin­ter­grund des Ver­fahrens bilde­ten Ansprüche auf Inva­lid­ität­sleis­tun­gen der Beschw­erde­führerin. Sie machte diese gegenüber der Vor­sorgeein­rich­tung A ihrer let­zten Arbeit­ge­berin gel­tend. Nach­dem Let­ztere eine Leis­tungspflicht ablehnte, rekur­ri­erte die Beschw­erde­führerin gegen diesen Entscheid. Für dieses Ver­fahren wurde der Beschw­erde­führerin die unent­geltliche Rechtsvertre­tung bewil­ligt, unter anderem in der Per­son des Beschw­erdegeg­n­ers. Das Ver­fahren fand vor Inkraft­treten des BGFA statt.

Nach­dem der Rekurs recht­skräftig abgewiesen wor­den war, beantragte die Beschw­erde­führerin IV-Leis­tun­gen bei der Vor­sorgeein­richtig B ihrer früheren Arbeit­ge­berin. Diese anerkan­nte zwar grund­sät­zlich den Leis­tungsanspruch der Beschw­erde­führerin, berief sich indessen auf die Ver­jährung und lehnte den Antrag der Beschw­erde­führerin ab. Das Bun­des­gericht bestätigte die Ver­jährung und damit die Ablehnung des Leis­tungsanspruchs let­ztin­stan­zlich (BGer 9C_94/2012 vom 4. Juli 2012).

Die Beschw­erde­führerin klagte daraufhin gegen den Beschw­erdegeg­n­er als ihren früheren unent­geltlichen Rechtsvertreter auf Schaden­er­satz. Dieser habe sie nicht über die ihr gegenüber der Vor­sorgeein­rich­tung B zuste­hen­den IV-Leis­tun­gen informiert und nicht die notwendi­gen Hand­lun­gen zur Unter­brechung der Ver­jährung vorgenommen.

Das erstin­stan­zliche Gericht wies die Klage unter anderem man­gels Pas­sivle­git­i­ma­tion des Beschw­erdegeg­n­ers ab. Der Beschw­erdegeg­n­er könne in sein­er Funk­tion als unent­geltlich­er Rechtsvertreter nicht zu Schaden­er­satz verpflichtet wer­den. Vielmehr müsse diese Ver­ant­wor­tung durch den Kan­ton Waadt wahrgenom­men wer­den. Das zweitin­stan­zliche Gericht bestätigte diese Erwä­gun­gen. Es qual­i­fizierte den unent­geltlichen Rechtsvertreter als öffentlichen Beamten i.S.v. Art. 61 Abs. 1 OR, weshalb die Ver­ant­wor­tung für dessen Hand­lun­gen sich auss­chliesslich gegen den Staat und nach dem entsprechen­den kan­tonalen Haf­tungs­ge­setz richte (E. B und E. 3).

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst daran, dass ein als unent­geltlich­er Rechtsvertreter bestell­ter Anwalt eine staatliche Auf­gabe übern­immt und mit dem Staat in ein öffentlichrechtlich­es Rechtsver­hält­nis ein­tritt (z.B. BGE 132 I 201, E. 7.1; BGE 122 I 322, E. 3b). Dies bedeute indessen nicht, dass auch das Rechtsver­hält­nis des unent­geltlichen Rechtsvertreters zur von ihm vertrete­nen Per­son öffentlichrechtlich wäre; im Gegen­teil. Dementsprechend hafte der unent­geltliche Rechtsvertreter gegenüber der von ihm vertrete­nen Per­son gestützt auf das Pri­va­trecht (E. 3.1).

Das Bun­des­gericht erwog daraufhin, dass die Kan­tone nicht gestützt auf Art. 61 Abs. 1 OR von der pri­va­trechtlichen Haf­tung abwe­ichen und für die Schlechter­fül­lung durch den amtlich bestell­ten Rechtsvertreter eine auss­chliessliche Haf­tung des Kan­tons vorse­hen kön­nen. Zur Begrün­dung führte es an, dass der unent­geltliche Rechtsvertreter wie auch ein erbeten­er Vertreter eine anwaltliche Tätigkeit ausübe, d.h. die unab­hängige Inter­essen­wahrung in einem Ver­fahren vor den Jus­tizbe­hör­den. An dieser Pflicht ändere auch die obrigkeitliche Bestel­lung durch die staatlichen Behör­den nichts. Der amtlich bestellte unent­geltliche Rechtsvertreter befinde sich denn auch hin­sichtlich der Man­dat­sausübung nicht in einem Unterord­nungsver­hält­nis zum Staat. Anders als in BGE 126 III 370, E. 7, wo es um die Haftpflicht von Notaren ging, unter­schei­de sich die Funk­tion des unent­geltlichen Rechtsvertreters fun­da­men­tal von der­jeni­gen eines Notars, da let­zter­er anders als der unent­geltliche Rechtsvertreter hoheitliche Funk­tio­nen ausübe (E. 3.2.1).

Schliesslich hielt das Bun­des­gericht fest, dass sich auch mit dem Erlass der BGFA nichts an diesen Erwä­gun­gen geän­dert habe. Es wies darauf hin, dass das BGFA die Beruf­s­regeln eines Anwalts abschliessend regle und nur einen eingeschränk­ten Vor­be­halt zugun­sten des kan­tonales Rechts enthalte (Art. 3 BGFA). Ein Anwalt übe dem­nach seinen Beruf unab­hängig, in eigen­em Namen und  auf eigene Ver­ant­wor­tung aus (Art. 12 lit. b BGFA). Diese Pflicht­en gel­ten uneingeschränkt für Anwälte, die im Rah­men der unent­geltlichen Recht­spflege Rechtsvertre­tun­gen übernehmen (Art. 12 lit. g BGFA). Die in Art. 12 BGFA abschliessend aufgezählten Beruf­s­regeln ver­hin­dern es, dass die Kan­tone die Haf­tung der unent­geltlichen Rechtsvertreter wegen Schlechter­fül­lung ihrer Funk­tion geset­zlich auss­chliessen kön­nen (E. 3.2.2).

Die kan­tonalen Gerichte hat­ten deshalb die Pas­sivle­git­i­ma­tion des Beschw­erdegeg­n­ers zu Unrecht verneint. Das Bun­des­gericht hob deshalb das zweitin­stan­zliche Urteil auf und wies die Sache zur Neubeurteilung zurück.