9C_224/2016: Obligatorische Krankenpflegeversicherung für im Ausland wohnende Familienangehörige (amtl. Publ.)

A. ist pol­nis­ch­er Staat­sange­höriger und war im Jahr 2015 einige Monate als land­wirtschaftlich­er Mitar­beit­er in der Schweiz angestellt. Er ver­fügte für diesen Zeitraum über eine Kurza­ufen­thalts­be­wil­li­gung (Ausweis L). Seine Fam­i­lie wohnte in Polen.

Nach­dem die Krankenkassen­prämien für die gesamte Fam­i­lie vom Lohn abge­zo­gen wor­den war, kündigte A. den Kranken­ver­sicherungsver­trag für seine Frau und seine Kinder. Die Agrisano Krankenkasse AG stellte sich jedoch auf den Stand­punkt, auch die Fam­i­lien­ange­höri­gen von A. seien der oblig­a­torischen Krankenpflegev­er­sicherung in der Schweiz zu unterstellen.

Die von A. erhobene Beschw­erde wies das Ver­sicherungs­gericht des Kan­tons Aar­gau ab. Das Bun­des­gericht hinge­gen hiess die Beschw­erde teil­weise gut und hob den Entscheid des Ver­sicherungs­gerichts und den Ein­spracheentscheid der Agrisano Krankenkasse AG auf (Urteil 9C_224/2016 vom 25. Novem­ber 2016).

Das Bun­des­gericht erwog im Wesentlichen, die oblig­a­torische Krankenpflegev­er­sicherung sei in der Schweiz nach dem Prinzip der Indi­vid­u­alver­sicherung aus­gestal­tet, weshalb das Ver­sicherungsver­hält­nis jew­eils nur für die angeschlossene Per­son gelte (E. 5.1). Neben den in der Schweiz wohn­haften Per­so­n­en sind in der Schweiz jedoch auch Per­so­n­en ver­sicherungspflichtig, welche in einem Mit­glied­staat der EU wohnen und nach dem Freizügigkeitsabkom­men mit der EU der schweiz­erischen Ver­sicherung unter­stellt sind (E. 5.2). Die Fam­i­lien­ange­höri­gen betrof­fen­er Arbeit­nehmer und Selb­st­ständi­ger­wer­ben­der sind nach dem Prinzip der Fam­i­lien­ver­sicherung grund­sät­zlich eben­falls in der Schweiz zu ver­sich­ern (E. 6.2.2.2).

Von der Ver­sicherungspflicht in der Schweiz ausgenom­men sind wiederum Personen,
auch Fam­i­lien­ange­hörige, die nach dem Freizügigkeitsabkom­men mit der EU
wegen (i) ihrer Erwerb­stätigkeit in einem anderen Mit­glied­staat, (ii) des
Leis­tungs­bezugs von ein­er aus­ländis­chen Arbeit­slosen­ver­sicherung oder
(iii) des Rente­nanspruchs eines anderen Mit­glied­staates den Rechtsvorschriften
des betr­e­f­fend­en Staats unter­stellt sind (zum Ganzen E. 5.2 und
6.2.2.2). Dem Grund­satz nach gilt also, dass ein eigen­ständi­ger Anspruch Vor­rang vor einem abgeleit­eten Anspruch hat (E. 6.3.2).

Im vor­liegen­den Fall war die mit den bei­den Kindern in Polen wohn­hafte Ehe­frau als Arbeit­slose reg­istri­ert und unter­lag der pol­nis­chen Gesund­heitsver­sicherung (E. 7.1). Zu prüfen war deshalb, ob die Ehe­frau des Beschw­erde­führers einen eigen­ständi­gen Anspruch gegenüber der pol­nis­chen Gesund­heitsver­sicherung begrün­det hat­te (Pflichtver­sicherung bei Arbeit­slosigkeit), welch­er dem abgeleit­eten Anspruch aus der Erwerb­stätigkeit des Beschw­erde­führers in der Schweiz vorg­ing (E. 8.1 und 8.2). Da sich diese Frage nicht beant­worten liess, wies das Bun­des­gericht die Angele­gen­heit zu neuer Ver­fü­gung zurück (E. 8.2).