2C_655/2015: Materielle Auseinandersetzung des BGer mit Rügen, welche vor der Vorinstanz nicht vorgebracht wurden (amtl. Publ.; frz.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 22. Juni 2016 äusserte sich das BGer zu ein­er auf den Ver­sand alko­holis­ch­er Getränke erhobe­nen Abgabe. Die im Kan­ton Waadt dom­izilierte X. AG vertreibt alko­holis­che Getränke, weshalb ihre Tätigkeit durch die Behör­den ein­er Bewil­li­gungspflicht unter­stellt wurde. Die Bewil­li­gungspflicht stützt sich auf das LADB/VD (loi sur les auberges et les débits de bois­sons; RSV 935.31) und hat zur Folge, dass die X. AG eine Abgabe auf die verkauften Getränke entricht­en muss. Nach­dem das Kan­ton­s­gericht des Kan­tons Waadt eine Beschw­erde der X. AG abwies, gelangte die Aktienge­sellschaft an das BGer, welch­es das Urteil der Vorin­stanz bestätigt.

Die X. AG macht zunächst eine Ver­let­zung des in Art. 5 Abs. 1 BV normierten Geset­zmäs­sigkeit­sprinzips gel­tend, da ihre geschäftlichen Aktiv­itäten nicht vom Anwen­dungs­bere­ich des LADB/VD umfasst wür­den. Das BGer stellt sich hinge­gen auf den Stand­punkt, dass der Ver­sand­han­del alko­holis­ch­er Getränke unter den Anwen­dungs­bere­ich des LADB/VD falle. Durch das LADB/VD solle der exzes­sive Kon­sum alko­holis­ch­er Getränke unter­bun­den wer­den, wobei der Ver­sand alko­holis­ch­er Getränke einen der­ar­ti­gen Kon­sum ger­ade fördere.

Sodann bringt die X. AG vor, dass die mit der Bewil­li­gung ver­bun­dene Abgabepflicht gegen die in Art. 127 BV fest­ge­hal­te­nen steuer­rechtlichen Prinzip­i­en ver­stosse. Das BGer hält fest, dass es sich bei der Abgabe auf alko­holis­chen Getränken um eine soge­nan­nte Kos­te­nan­las­tungss­teuer (“impôt d’at­tri­bu­tion des coûts”) han­dle. Da die X. AG die mögliche Ver­let­zung von Art. 127 BV vor den Schranken der Vorin­stanz aber nicht gerügt hat, sei zuerst zu prüfen, ob die Rüge vom BGer über­haupt zu behan­deln sei. Das BGer kommt zum Schluss, dass eine gel­tend gemachte Ver­let­zung ver­fas­sungsmäs­siger Rechte dann über­prüft wer­den müsse, wenn der Beschw­erde­führer die Rüge vor BGer zum ersten Mal vor­bringe und die Vorin­stanz über eine volle Über­prü­fungs­befug­nis ver­füge sowie das Recht von Amtes wegen anzuwen­den habe (vgl. Art. 106 Abs. 1 BGG). Ausgenom­men seien prozess­rechtliche Rügen (Bsp.: Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs), welche der Beschw­erde­führer bere­its vor der Vorin­stanz hätte platzieren können.

Im vor­liegen­den Fall über­prüft das BGer die von der X. AG vorge­brachte Rüge, hält aber fest, dass die Abgabe nicht gegen Art. 127 BV ver­stosse. Mit dem LADB/VD sei eine geset­zliche Grund­lage im formellen Sinne vorhan­den, welche das Steuer­ob­jekt und ‑sub­jekt nenne. Sodann könne dem Gesetz die Berech­nungs­grund­lage für die Kos­te­nan­las­tungss­teuer ent­nom­men wer­den. Im Übri­gen sei eine ver­gle­ich­bare Frage bere­its im Urteil des BGer vom 10. Juli 2009 behan­delt wor­den. Dieses Urteil könne auch für den vor­liegen­den Sachver­halt Gültigkeit beanspruchen.