EGMR (21830/09): Verurteilung (BGer 6B_225/2008) wegen Verletzungen des Privatbereichs durch verdeckte Medienaufnahmen war unzulässig

Das Bun­des­gericht hat­te mit Urteil vom Okto­ber 2008 (6B_225/2008) die Verurteilung von vier Jour­nal­is­ten wegen Ver­stössen gegen StGB 179bis, StGB 179ter und StGB 179quater durch verdeck­te Auf­nah­men für die Sendung “Kassen­sturz” bestätigt, weil verdeck­te Auf­nah­men für die kri­tis­che Berichter­stat­tung nicht erforder­lich seien bzw. let­ztere durch ein Ver­bot solch­er Auf­nah­men nicht in unzuläs­siger Weise erschw­ert werde. Die Auf­nah­men betrafen einen Ver­sicherungs­ber­ater, dem schlechte Beratungsleis­tun­gen vorge­wor­fen wurden.

Dage­gen wandten sich die verurteil­ten Jour­nal­is­ten an den EGMR, der ihre Beschw­erde mit Urteil vom 24.2.2015 gutheisst (Urteil 21830/09): Die Verurteilung sei auf­grund fol­gen­der Umstände unver­hält­nis­mäs­sig gewe­sen:

  • das öffentliche Inter­esse an der Berichter­stat­tung ist hier — bei einem Kon­sumenten­schutzthe­ma — als gewichtig einzustufen; 
  • Ein­griffe in die Mei­n­ungsäusserungs­frei­heit sind bei The­men von öffentlichem Inter­esse kaum zuläs­sig (“La Cour rap­pelle que l’article 10 § 2 de la Con­ven­tion ne laisse guère de place pour des restric­tions à la lib­erté d’expression dans le domaine des ques­tions d’intérêt général […]”);
  • der Ein­griff in die Pri­vat­sphäre des Beraters war ger­ing:
  • die Orig­i­nalauf­nah­men waren nur einem kleinen Per­so­n­enkreis zugänglich; 
  • die aus­ges­trahlten Bild- und Tonauf­nah­men waren anonymisiert (Ver­pix­elung; Ver­frem­dung der Stimme).

Die Verurteilung habe daher die durch EMRK 10 geschützte Frei­heit der Mei­n­ungsäusserung ver­let­zt. Dass die Strafen niedrig aus­ge­fall­en waren, ändere daran nichts.

Das Urteil erg­ing mit 6:1 Stim­men und enthält die dis­sent­ing opin­ion von Richter Paul Lem­mens. Im Ver­fahren vor dem EGMR hat­te sich die Media Legal Defence Ini­tia­tive als ami­cus curi­ae beteiligt. Vgl. zum Urteil auch die NZZ.