9C_23/2014: Berücksichtigung des versicherungstechnischen Fehlbetrages zur Bestimmung der Nachschussforderung (amtl. Publ.)

Die Gemeinde Rudolf­stet­ten war zur Durch­führung der beru­flichen Vor­sorge ihres Per­son­als der Aar­gauis­chen Pen­sion­skasse (APK) angeschlossen. Im Sep­tem­ber 2007 kündigte sie das Anschlussver­hält­nis auf den 31. Dezem­ber 2007. Im Juni 2009 informierte die APK die Gemeinde über ihre Nach­schusspflicht und stellte eine Forderung von gerun­det CHF 1.1 Mio. Zur Bes­tim­mung des Betrages hat­te die APK den ver­sicherung­stech­nis­chen Fehlbe­trag und den APK-Deck­ungs­grad berück­sichtigt. Die Gemeinde weigerte sich, den geforderten Betrag zu bezahlen.

Das Ver­sicherungs­gericht des Kan­tons Aar­gau wies die Klage der APK weit­ge­hend ab und sprach ihr lediglich gerun­det CHF 0.1 Mio. zu. Das Bun­des­gericht hiess die gegen diesen Entscheid erhobene Beschw­erde teil­weise gut und verurteilte die Gemeinde zur Zahlung von gerun­det CHF 1.1 Mio. neb­st Zins (Urteil 9C_23/2014 vom 8. Juli 2014). 

Dass eine Nach­schusspflicht bestand war zwis­chen den Parteien unbe­strit­ten. Umstrit­ten war jedoch die Berech­nung der Nach­schuss­forderung. Das Bun­des­gericht hat­te in diesem Zusam­men­hang ins­beson­dere die Frage zu beant­worten, ob der APK-Deck­ungs­grad von 73,9 % oder der BVG-Deck­ungs­grad von 90,0 % mass­gebend war bzw. ob die Wertschwankungsre­serve bei der Berech­nung des Deck­ungs­grades in Form zusät­zlichen Deck­ungskap­i­tals zu berück­sichti­gen war. Anders aus­ge­drückt war zu entschei­den, ob sich die Gemeinde am ver­sicherung­stech­nis­chen Fehlbe­trag oder lediglich an der Unter­deck­ung gemäss Art. 44 BVV 2 zu beteili­gen hat­te (vgl. zum Ganzen E. 2.2).

Das Bun­des­gericht gelangte nach aus­führlichen Erwä­gun­gen und Ausle­gung der Anschlussvere­in­barung zum Schluss, dass die Gemeinde eine Beteili­gung am ver­sicherung­stech­nis­chen Fehlbe­trag zu leis­ten hat­te (E. 4–6). Das Bun­des­gericht erwog ins­beson­dere das Fol­gende (E. 6.2):

Nach Ziff. 6 der Anschlussvere­in­barung vom 22. August/3. Okto­ber 1994
verpflichtet sich der Arbeit­ge­ber, “im Falle eines Kollektiv-Austritts
(…) den in der geschulde­ten Aus­trittsleis­tung der Kasse enthaltenen
ver­sicherung­stech­nis­chen Fehlbe­trag (…) zurück­zuer­stat­ten”. Soweit
auf­grund des Zusatzes “in der geschulde­ten Austrittsleistung (…)
enthal­ten” unklar sein kön­nte, was unter dem versicherungstechnischen
Fehlbe­trag zu ver­ste­hen ist, schafft das bei der Ausle­gung von Ziff. 6
der Anschlussvere­in­barung nach dem Ver­trauen­sprinzip (Urteil 9C_554/2011
vom 12. Sep­tem­ber 2011 E. 3.1, in SVR 2012 BVG Nr. 8 S. 34; BGE 120 V 448
E. 5a S. 452) eben­falls zu beach­t­ende Begleitschreiben vom 25. Juli
1994 Klarheit. Darin wurde aus­drück­lich fest­ge­hal­ten, per Ende 1993
beste­he ein Deck­ungs­grad von 73,8 %, d.h. 73,8 % der zu erbringenden
Ver­sicherungsleis­tun­gen sind direkt durch das vorhan­dene Deckungskapital
sichergestellt. Die restlichen 26,2 % wür­den als
ver­sicherung­stech­nis­ch­er Fehlbe­trag beze­ich­net, was nichts anderes
bedeute, als dass 26,2 % der zu erbrin­gen­den Ver­sicherungsleis­tun­gen im
Umlagev­er­fahren aufge­bracht wür­den. Der Deck­ungs­grad von 73,8 % in der
Jahres­rech­nung 1993 war ohne Auflö­sung der Wertschwankungsreserven
berech­net wor­den, wie aus dieser leicht ersichtlich ist. Die später
erlasse­nen Regle­mente
, ins­beson­dere diejeni­gen vom 6. Dezem­ber 1995/19.
März 1997 über den Aus­tritt angeschlossen­er Arbeit­ge­ber und vom 24.
April 2002 über den Anschluss und Aus­tritt von Arbeit­geben­den gingen
gemäss Vorin­stanz klar und übere­in­stim­mend von diesem
Begriffsver­ständ­nis aus, wobei seit 2003 die Bezeichnung
APK-Deck­ungs­grad im Unter­schied zum BVG-Deck­ungs­grad nach Art. 44 BVV 2
ver­wen­det wurde. Diese Regle­mente blieben unbe­strit­ten und wur­den daher
gestützt auf den Änderungsvor­be­halt in Ziff. 2 der
Anschlussvere­in­barung (“Die gegen­wär­tig und zukün­ftig gel­tenden Statuten
und Ver­sicherungs­be­din­gun­gen sowie allfäl­lige weit­ere Regle­mente und
Weisun­gen der Kasse wer­den ein­schliesslich daraus folgenden,
nachträglich erweit­erten Recht­en und Pflicht­en aus­drück­lich anerkannt”)
für die Beschw­erdegeg­ner­in verbindlich­er Bestandteil der
vor­sorg­erechtlichen Rechts­beziehun­gen mit der Beschw­erde­führerin (Urteil
des Bun­des­gerichts 2A.609/2004 vom 13. Mai 2005 E. 2.3; Urteil des
Eidg. Ver­sicherungs­gerichts B 20/97 vom 24. August 1999 E. 5c, in: SVR
2000 BVG Nr. 1 S. 1; vgl. auch BBl 2003 6409 oben; fern­er Kurt C.
Schweiz­er, Ver­tragsrechtliche Gedanken zur Änder­barkeit von Vorsorge-
und Anschlussver­hält­nis­sen, in: Beru­fliche Vor­sorge, Stell­w­erk der
Sozialen Sicher­heit [Dr. iur. Her­mann Walser zum 70. Geburt­stag], 2013,
S. 221 ff.). Die Beschw­erdegeg­ner­in bestre­it­et dieses
Ausle­gungsergeb­nis, wobei sie jedoch den Inhalt des Begleitschreibens
vom 25. Juli 1994 nicht erwäh­nt und den Text des Änderungsvor­be­halts nur
unvoll­ständig wiedergibt.