1C_135/2013: Opferhilfe wegen fahrlässiger Tötung nach Arbeitenlassen eines Jugendlichen mit Asbest (amtl. Publ.)

A arbeit­ete als Schüler etwa fünf Wochen in der Eter­nit AG, wo er u.a. Plat­ten mit Weichas­best brechen musste, was Staub entwick­elte. Infolge dessen entwick­elte er Jahrzehnte später einen bösar­ti­gen Brust­fel­lkrebs. Er ersuchte das Kan­tonale Sozialamt Glarus um Schaden­er­satz- und Genug­tu­ungsleis­tun­gen nach dem Opfer­hil­fege­setz (OHG). Nach seinem Tod trat­en die Ehe­frau und die drei Kinder von A in das Opfer­hil­fever­fahren ein. Sie führten erfol­gre­ich Beschw­erde in öffentlich-rechtlichen Angele­gen­heit­en (1C_135/2013; amtl. Publ.) gegen die Abweisung des Opferhilfegesuchs.

Im vor­liegen­den Fall ging es um Ansprüche für Straftat­en, die vor dem Inkraft­treten des neuen OHG verübt im Jahr 2007 wor­den sind, weshalb das alte OHG von 1991 anwend­bar war. Die Strafver­fol­gungsver­jährung ist einge­treten, da diese im Zeit­punkt der Tathand­lung zu laufen begin­nt und nicht mit Ein­tritt des Erfol­gs. Das gilt entsprechend für zivil­rechtliche Forderun­gen auf Schaden­er­satz und Genug­tu­ung, für deren Ver­jährungs­be­ginn die Ver­let­zung der ver­traglichen Pflicht und nicht der Ein­tritt des Schadens mass­ge­blich ist. Die Gel­tend­machung von Ansprüchen auf Schaden­er­satz und Genug­tu­ung gemäss Art. 11 ff. aOHG bleibt dage­gen möglich, da es für den zeitlichen Gel­tungs­bere­ich dieser Bes­tim­mungen auf den Ein­tritt des tatbe­standsmäs­si­gen Erfol­gs ankommt.

Nach Art. 2 Abs. 1 aOHG set­zt die Opfer­stel­lung eine Straftat voraus, weshalb zu klären war, ob eine fahrläs­sige Tötung gemäss Art. 117 StGB vor­lag und die Ver­ant­wortlichen der Eter­nit AG sein­erzeit ihre Sorgfalt­spflicht ver­let­zt haben. Das Bun­des­gericht kam insoweit zu dem Schluss, dass den Ver­ant­wortlichen der Eter­nit AG, deren in der Her­stel­lung und Ver­ar­beitung asbesthaltiger Pro­duk­te bestand, die dama­li­gen wis­senschaftlichen Erken­nt­nisse über die Gesund­heits­ge­fahren durch Asbest bekan­nt sein mussten. Entsprechend war ihnen erkennbar, dass A bei Stauben­twick­lung im Umgang mit asbesthalti­gen Pro­duk­ten einem der­ar­ti­gen Risiko aus­ge­set­zt war. Die Vorherse­hbarkeit des Erfol­g­sein­tritts war damit gegeben. Nach dem Massstab der Adäquanz war das Ver­hal­ten der Ver­ant­wortlichen der Eter­nit AG geeignet, nach dem gewöhn­lichen Lauf der Dinge und den dama­li­gen Erfahrun­gen des Lebens einen Erfolg wie den einge­trete­nen min­destens zu begün­sti­gen. Fraglich war somit, ob sie ihr Ver­hal­ten auf das bekan­nte Risiko aus­gerichtet haben.

Das Bun­des­gericht zieht zur Beurteilung dieser Frage die Son­derbes­tim­mungen zum Schutz Jugendlich­er im alten Arbeits­ge­setz (aArG) und der Verord­nung I zum Arbeits­ge­setz her­an. Der damals 13- bzw. 14-jährige A durfte gemäss Art. 29 Abs. 2 und 3 aArG iVm Art. 54 lit. b der Verord­nung I nicht zu Arbeit­en herange­zo­gen wer­den, bei denen eine erhe­bliche Krankheits­ge­fahr beste­ht. Eine solche Gefahr war bei Arbeit­en, bei denen sich Asbest­staub entwick­elte, aber gegeben. Die Ver­ant­wortlichen hät­ten A dem­nach keine Arbeit­en ver­richt­en lassen dür­fen, bei denen er Asbest­staub aus­ge­set­zt war. Indem sie das trotz­dem getan haben, haben sie die Gren­ze des erlaubten Risikos über­schrit­ten und ihre Sorgfalt­spflicht ver­let­zt. Wie die Beschäf­ti­gung erwach­sen­er Per­so­n­en mit solchen Arbeit­en zu beurteilen ist, war hier nicht zu entscheiden.

Die Voraus­set­zun­gen der Straf­barkeit wegen fahrläs­siger Tötung nach Art 117 StGB sind somit in casu erfüllt. Heute kann zwar nicht mehr gek­lärt wer­den kann, welche Per­so­n­en in der Eter­nit AG die Ver­ant­wor­tung für die Beschäf­ti­gung von A tru­gen. Das ist aber irrel­e­vant, denn nach Art. 2 Abs. 1 aOHG beste­ht Anspruch auf Opfer­hil­fe unab­hängig davon, ob der Täter ermit­telt wor­den ist. A war somit Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 aOHG. Die Aus­rich­tung von Entschädi­gung und Genug­tu­ung gemäss Art. 11 ff. aOHG kommt in Betra­cht. Das Bun­des­gericht hat die Beschw­erde gut­ge­heis­sen und an die Vorin­stanz zurück­gewiesen, die zu klären hat, inwieweit die gel­tend gemacht­en Entschädi­gungs- und Genug­tu­ungs­begehren im Einzel­nen berechtigt sind.