1B_387/2012: Abweichen vom Wunsch des Beschuldigten nach einem bestimmten amtlichen Verteidiger (amtl. Publ.)

Der in Art. 133 Abs. 2 StPO sta­tu­ierte Anspruch, dass die Behörde bei der Ernen­nung des amtlichen Vertei­di­gers die Wün­sche des Angeschuldigten berück­sichtigt, wird ver­let­zt, wenn die (nur aus­nahm­sweise zuläs­sige) Ablehnung des vorgeschla­ge­nen Vertei­di­gers damit begrün­det wird, dass der erbetene Vertei­di­ger nicht dafür gesorgt habe, dass der Beschuldigte seine finanzielle Sit­u­a­tion gegenüber der Staat­san­waltschaft offen­legt. Zu diesem Schluss kommt das Bun­des­gericht in dem zur Pub­lika­tion vorge­se­hen Urteil 1B_387/2012 vom 24. Jan­u­ar 2013.

Vor­liegend war ein dro­hen­der nicht wieder gutzu­machen­der (rechtlich­er) Nachteil — und damit ein anfecht­bar­er Zwis­ch­enentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG — zu bejahen:

1.2 […] Die Fol­gen ein­er Nicht­berück­sich­ti­gung der Wün­sche des Angeschuldigten kön­nen im weit­eren Strafver­fahren kaum mehr kor­rigiert wer­den, so dass auch bei ein­er späteren Ein­set­zung des Wun­schvertei­di­gers eine Ver­let­zung des Vorschlagsrechts nach Art. 133 Abs. 2 StPO beste­hen bliebe. Ausser­dem würde eine spätere Kor­rek­tur ein­er Ver­let­zung des Anspruchs des Beschuldigten auf Berück­sich­ti­gung sein­er Wün­sche in der Regel zu Verzögerun­gen des Strafver­fahrens führen, die mit dem Beschle­u­ni­gungs­ge­bot nicht zu vere­in­baren sind (Art. 5 StPO).

Mit Art. 132–133 StPO wurde die bish­erige bun­des­gerichtliche Recht­sprechung (vgl. Urteil 1B_74/2008 vom 18. Juni 2008 E. 2) zu Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK kodifiziert:

4.3 […] Das Vorschlagsrecht des Beschuldigten nach Art. 133 Abs. 2 StPO begrün­det zwar keine strik­te Befol­gungs- bzw. Ernen­nungspflicht zulas­ten der Ver­fahrensleitung. Für ein Abwe­ichen vom Vorschlag des Beschuldigten bedarf es jedoch zure­ichen­der sach­lich­er Gründe, wie z.B. Inter­essenkol­li­sio­nen, Über­las­tung, die Ablehnung des Man­dates durch den erbete­nen Vertei­di­ger, dessen fehlende fach­liche Qual­i­fika­tion oder Beruf­sausübungs­berech­ti­gung oder andere sach­liche Hindernisse […].

Im vor­liegen­den Fall beruhte die ein­gangs genan­nte Begrün­dung der Vorin­stanz nicht auf einen sach­lichen Grund, um vom Wun­sch des Beschuldigten abzuweichen:

5.1 […] Damit ver­mis­cht sie in unzuläs­siger Weise das geset­zliche Vorschlagsrecht des Beschuldigten betr­e­f­fend die Per­son des amtlichen Vertei­di­gers (Art. 133 Abs. 2 StPO) mit den materiellen Anspruchsvo­raus­set­zun­gen für die unent­geltliche (bzw. vom Staat zu bevorschussende) Vertei­di­gung bedürftiger Per­so­n­en und den damit ver­bun­de­nen Sub­stanzierung­sobliegen­heit­en (vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO).

Zudem verkan­nte die Vorin­stanz die geset­zliche Unter­schei­dung zwis­chen amtlich­er Vertei­di­gung bei notwendi­ger Vertei­di­gung und den übri­gen Fällen der unent­geltlichen amtlichen Verteidigung:

5.1 […] Nur bei Let­zteren ver­langt das Gesetz (in Übere­in­stim­mung mit der ständi­gen Recht­sprechung des Bun­des­gerichts) für eine staatliche Bevorschus­sung der Vertei­di­gungskosten den Nach­weis, dass die beschuldigte Per­son nicht über die erforder­lichen Mit­tel ver­fügt (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Bei notwendi­ger Vertei­di­gung set­zt die Bestel­lung eines Offizialvertei­di­gers, dessen Kosten vom Staat (vor­läu­fig) zu bevorschussen sind, keinen Nach­weis der finanziellen Bedürftigkeit des Beschuldigten voraus (Art. 132 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 130 StPO). Falls sich bei einem notwendig durch einen Offizialan­walt vertei­digten Beschuldigten her­ausstellen sollte, dass er nicht (oder nicht mehr) bedürftig ist, kann die Ver­fahrensleitung (spätestens am Ende des Strafver­fahrens) entschei­den, ob und inwieweit die staatlich bevorschussten Vertei­di­gungskosten an den Beschuldigten zu über­wälzen sind (Art. 135 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 lit. a StPO). Wed­er das Gesetz, noch die Bun­des­gericht­sprax­is sehen jeden­falls vor, dass eine amtliche Vertei­di­gung ohne Weit­eres zur defin­i­tiv­en Befreiung des Beschuldigten von staatlich bevorschussten Anwalt­skosten führen müsste.

Neben den dargelegten Bes­tim­mungen (Art. 132 Abs. 1 lit. a und Art. 133 Abs. 2 StPO) ver­let­zte der ange­focht­ene Entscheid auch das straf­prozes­suale Ver­bot des Selb­st­be­las­tungszwangs (Art. 113 Abs. 1 StPO).