5A_702/2012: Notwendige Streitgenossenschaft bei der Vaterschaftsanfechtung (amtl. Publ.)

In einem Prozess zur Vater­schaft­san­fech­tung liegt auf der Beklagten­seite eine sog. uneigentliche notwendi­ge Stre­itgenossen­schaft vor, die keine gemein­same Prozess­führung voraus­set­zt, zumal das Urteil zur Vater­schaft rechts­gestal­tend wirkt und jed­er­mann bindet. Zu diesem Schluss kommt das Bun­des­gericht in seinem für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil 5A_702/2012 vom 19. Novem­ber 2012, wom­it es seine bish­erige Recht­sprechung bestätigt.

Die Botschaft zur Schweiz­erischen Zivil­prozes­sor­d­nung (ZPO) vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221, S. 7280 (Ziff. 5.53 zu Art. 68 des Entwurfs) sieht vor, dass das materielle Recht bes­timmt, in welchen Fällen eine gemein­same Prozess­führung notwendi­ger Stre­itgenossen notwendig ist. Für das Ergreifen von Rechtsmit­teln gilt – wie bei der Klageein­re­ichung –, dass die gesamte notwendi­ge Stre­itgenossen­schaft als Berechtigte oder Verpflichtete beteiligt sein muss, son­st fehlt die Aktiv- bzw. Pas­sivle­git­i­ma­tion und die Klage wird als unbe­grün­det abgewiesen.

Nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung zu aArt. 253 Abs. 2 ZGB beste­ht zwis­chen Mut­ter und Kind im Anfech­tung­sprozess eine notwendi­ge (pas­sive) Stre­itgenossen­schaft, was jedoch nicht dage­gen spricht, dass ein im Ver­fahren gegen Mut­ter und Kind ergan­gener Entscheid von der Mut­ter oder vom Kind allein weit­erge­zo­gen wer­den kann:

3.2 […] Der ehe­liche oder une­he­liche Sta­tus ein­er Per­son ist ein ein­heitlich­es Rechtsver­hält­nis; das let­ztin­stan­zliche rechts­gestal­tende Urteil darüber wirkt gegenüber allen am Rechtsver­hält­nis, nicht nur den am Prozesse in sein­er let­zten Phase, Beteiligten in gle­ich­er Weise, also gegenüber Ehe­mann, Mut­ter und Kind gle­ich (vgl. BGE […] 95 II 291 E. 1 S. 294). Dass Mut­ter und Kind als notwendi­ge Stre­itgenossen nicht gemein­sam, son­dern je für sich allein ein Rechtsmit­tel gegen das die Anfech­tungsklage gutheis­sende Urteil ein­le­gen kön­nen, wurde in der späteren Recht­sprechung als eine Aus­nahme von all­ge­meinen Grund­sätzen für den Son­der­fall von Sta­tuskla­gen beze­ich­net (vgl. BGE 130 III 550 E. 2.1.2 S. 552 f.) und auch nach in Kraft treten von Art. 256 Abs. 2 ZGB diskus­sion­s­los anerkan­nt (vgl. Urteil 5A_240/2011 vom 6. Juli 2011 E. 3).

Entschei­dend ist, dass nicht das Prozess­recht, son­dern das materielle Recht bes­timmt, in welchen Fällen mehrere Per­so­n­en zur gemein­samen Prozess­führung verpflichtet sind:

4.1 […] In Ausle­gung von aArt. 253 Abs. 2 ZGB und dem hier inhaltlich gle­ich­lau­t­en­den Art. 256 Abs. 2 ZGB ist das Bun­des­gericht zum Ergeb­nis gelangt, dass wegen der Gefahr ein­er Kol­li­sion der Inter­essen von Mut­ter und Kind und mit Rück­sicht auf die Gestal­tungswirkung des eine Anfech­tungsklage gutheis­senden Urteils Mut­ter oder Kind allein ein Rechtsmit­tel ein­le­gen dür­fen (E. 3 hier­vor). Daran ist festzuhal­ten und hat das Inkraft­treten der Schweiz­erischen Zivil­prozes­sor­d­nung nichts geändert.

Die Ausle­gung der Vorin­stanz, die Mut­ter des Kindes sei nicht zur Beru­fung gegen das eine Anfech­tungsklage gutheis­sende Urteil allein berechtigt, führt dazu, dass sich am Ver­fahren vor dem Oberg­ericht als Partei nicht mehr beteili­gen kann, wer zur Beschw­erde an das Bun­des­gericht berechtigt ist:

4.2 Das Bun­des­gericht hat auch nach Inkraft­treten des Bun­des­ge­set­zes über das Bun­des­gericht (Bun­des­gerichts­ge­setz, BGG; SR 173.110) keinen begrün­de­ten Anlass gese­hen, von sein­er bish­eri­gen Recht­sprechung abzuwe­ichen (vgl. Urteil 5A_240/2011 vom 6. Juli 2011 E. 3). […] Die Ablehnung der Beru­fungs­berech­ti­gung in Anwen­dung von Art. 70 Abs. 2 ZPO ver­let­zt somit Art. 111 Abs. 1 BGG, wonach die kan­tonalen Behör­den die Rechtsmit­tel­befug­nis nicht enger fassen dür­fen, als dies für die Beschw­erde an das Bun­des­gericht vorge­se­hen ist (vgl. Urteil 4A_33/2007 vom 27. Sep­tem­ber 2007 E. 2; für den öffentlich-rechtlichen Bere­ich: BGE 138 II 162 E. 2.1.1 S. 164 […]). Die ange­focht­ene Ausle­gung lässt sich auch unter dem Blick­winkel der Ein­heit der Ver­fahren­sor­d­nung nicht halten.