Bundesrat verabschiedet Botschaft zur Revision des Kartellgesetzes

Der Bun­desrat hat am 22. Feb­ru­ar 2012 die Botschaft zur Revi­sion des Kartellge­set­zes ver­ab­schiedet und dem Par­la­ment zur Genehmi­gung unterbreitet.

Die Botschaft stützt sich inhaltlich auf den Beschluss des Bun­desrates vom 16. Novem­ber 2011 (siehe unseren Bericht) und schlägt die fol­gen­den sechs Ker­nele­mente zur Revi­sion vor:
  • Insti­tu­tio­nen­re­form: Der Bun­desrat betont in der Botschaft, dass die Revi­sion des Kartellge­set­zes in erster Lin­ie den insti­tu­tionellen Bere­ich betr­e­f­fen müsse, was vorder­hand eine bessere Tren­nung zwis­chen Unter­suchungs- und Entschei­din­stanz bzw. den entsprechen­den Ver­fahren bedeutet. Die neue Wet­tbe­werb­s­be­hörde soll aus dem heuti­gen Sekre­tari­at der Wet­tbe­werb­skom­mis­sion her­vorge­hen und die Rechts­form ein­er selb­ständi­gen öffentlich-rechtlichen Anstalt erhal­ten. Sie wird die kartell­rechtlichen Unter­suchun­gen führen und vor der Entschei­din­stanz Antrag erheben. In der Zusam­men­schlusskon­trolle soll die Wet­tbe­werb­s­be­hörde allerd­ings den erstin­stan­zlichen Ver­wal­tungsentscheid fällen, da diese Fälle beson­ders zeitkri­tisch sind. Darüber hin­aus soll sie Unternehmen berat­en und in Vernehm­las­sun­gen Stel­lung nehmen kön­nen. Für Entschei­de erster Instanz soll neu eine Kam­mer des Bun­desver­wal­tungs­gericht­es als Wet­tbe­werb­s­gericht zuständig sein. Der Spruchkör­p­er soll dabei so beset­zt wer­den, dass unter Wahrung des Prax­is­bezuges eine Pro­fes­sion­al­isierung erre­icht wer­den kann. Neu wird damit bere­its in erster Instanz ein Ver­fas­sungs- und EMRK-kon­formes Gericht entschei­den. Da der Beschw­erdeweg zudem direkt zum Bun­des­gericht geht, soll auch der Rechtsmit­tel­weg bis zum Vor­liegen eines let­ztin­stan­zlichen Entschei­des beträchtlich verkürzt werden.
  • Teilka­rtel­lver­bot: Der Bun­desrat hat am 17. August 2011 beschlossen, im Zusam­men­hang mit den Auswirkun­gen der Franken­stärke den Wet­tbe­werb in der Schweiz zu stim­ulieren. Zu diesem Zweck sollen die heute durch die Ver­mu­tungstatbestände von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG erfassten harten Kartellabre­den (hor­i­zon­tale Preis‑, Men­gen- und Gebi­etsab­sprachen, ver­tikale Preis­bindun­gen und Gebi­etsab­schot­tun­gen) wirk­samer unter­bun­den wer­den. Anstelle der Ver­mu­tungstatbestände sieht die Revi­sion deshalb ein Teilka­rtel­lver­bot mit Recht­fer­ti­gungsmöglichkeit vor (siehe unseren Bericht). Auf die Unter­schei­dung zwis­chen den “gewöhn­lichen” Abre­den nach Art. 5 Abs. 1 KG und den neu vom Teilka­rtel­lver­bot erfassten harten Kartellabre­den soll dabei nicht verzichtet wer­den, was nicht zulet­zt das Risiko ein­er Sank­tion beschlägt. Gemäss Botschaft sollen die vom Teilka­rtel­lver­bot erfassten Abre­den im Einzelfall aus Grün­den der wirtschaftlichen Effizienz gerecht­fer­tigt wer­den kön­nen. Der gel­tende Art. 5 Abs. 2 KG (neu Abs. 3), der eine Aufzäh­lung von Effizien­z­grün­den enthält, soll dazu unverän­dert über­nom­men und auf Verord­nungsstufe konkretisiert wer­den. Die Verord­nung soll unter anderem auch die Effizien­z­gründe gemäss der Ver­tikalbekan­nt­machung der WEKO berücksichtigen.
  • Kartel­lzivil­recht: Die Attrak­tiv­ität des zivil­rechtlichen Weges soll durch zwei Änderun­gen erhöht wer­den. Erstens soll die Legit­i­ma­tion zur Zivilk­lage, die nach aktuellem Recht nur den direkt in der Auf­nahme oder Ausübung des Wet­tbe­werbs behin­derten Wet­tbe­werb­steil­nehmern offen ste­ht, auf alle von ein­er Wet­tbe­werb­s­beschränkung Betrof­fe­nen aus­geweit­et wer­den. Zweit­ens soll die Ver­jährungs­frist im Kartel­lzivil­recht neu während ein­er laufend­en Unter­suchung der Wet­tbe­werb­s­be­hörde still ste­hen. Ziel der Revi­sion sei es, dass die Betrof­fe­nen, ins­beson­dere auch die bis­lang nicht klagele­git­imierten End­kun­den, ihre Rechte ver­mehrt selb­ständig gel­tend machen und damit unab­hängig von der Pri­or­itätenord­nung der Wet­tbe­werb­s­be­hörde agieren kön­nen. In diesem Zusam­men­hang ist im Übri­gen vorge­se­hen, dass allfäl­lige Leis­tun­gen an Geschädigte im Zivil­ver­fahren bei der Bemes­sung ein­er direk­ten Sank­tion angemessen berück­sichtigt wer­den kön­nen. Nach Ansicht des Bun­desrates soll die Stärkung des zivil­rechtlichen Weges nicht zulet­zt der Durch­set­zung der Weit­er­gabe von Wech­selkursvorteilen dienen.
  • Zusam­men­schlusskon­trolle: Im Bere­ich der Zusam­men­schlusskon­trolle sieht die Botschaft einige wesentliche Änderun­gen vor: Erstens sollen Zusam­men­schlussvorhaben, welche zumin­d­est die Schweiz und den Europäis­chen Wirtschaft­sraum betr­e­f­fen und bere­its von der Europäis­chen Kom­mis­sion beurteilt wer­den, stark vere­in­facht behan­delt wer­den. Zweit­ens soll der in der EU zur Beurteilung von Zusam­men­schlüssen ver­bre­it­ete SIEC-Test (sig­nif­i­cant imped­i­ment to effi­cient com­pe­ti­tion) neu auch in der Schweiz zur Anwen­dung gelan­gen. Dies soll — im Gegen­satz zur gegen­wär­tig von der WEKO ange­wandten Prü­fung der Mark­t­be­herrschung — eine vol­lum­fängliche Berück­sich­ti­gung der pos­i­tiv­en und neg­a­tiv­en Effek­te eines Zusam­men­schlusses erlauben. Drit­tens sollen die Fris­ten und Ver­fahren “soweit den Unternehmen dien­lich” an die Ver­hält­nisse in der EU angepasst wer­den. Viertens soll eine Ord­nungs­frist von drei Monat­en sich­er­stellen, dass allfäl­lige Beschw­er­den im Rah­men der Zusam­men­schlusskon­trolle durch das Wet­tbe­werb­s­gericht mit der gebote­nen Beschle­u­ni­gung erledigt werden.
  • Com­pli­ance Defence: Unternehmen, welche ein wirk­sames Com­pli­ance-Pro­gramm zur Ver­hin­derung von Kartell­rechtsver­stössen betreiben, sollen neu in den Genuss ein­er Sank­tion­s­min­derung kom­men kön­nen. Laut Botschaft kommt eine Sank­tion­s­min­derung aber nur für Com­pli­ance-Pro­gramme in Frage, welche einen “wirk­samen Beitrag zur Durch­set­zung des Kartell­rechts leis­ten”. Die Entschei­dung, ob diese Voraus­set­zung erfüllt ist, obliegt den Wet­tbe­werb­s­be­hör­den bzw. den Gericht­en, wobei diese Entschei­dung auf der Grund­lage von “Infor­ma­tio­nen, die zeigen, dass in ähn­lichen Fällen die ein­gerichteten Mech­a­nis­men funk­tion­iert haben” getrof­fen wer­den soll.
  • Wider­spruchsver­fahren: Unternehmen kön­nen eine geplante Ver­hal­tensweise den Behör­den vor­ab zur Prü­fung vor­legen, um für den gemelde­ten Sachver­halt eine Sank­tions­be­freiung zu erre­ichen. Hier sieht die Botschaft zwei Verbesserun­gen vor: Erstens soll die Frist, innert welch­er die Wet­tbe­werb­s­be­hörde ein Ver­fahren eröff­nen muss, damit ein Unternehmen für eine gemeldete Ver­hal­tensweise sank­tion­iert wer­den kann, von fünf auf neu zwei Monate verkürzt wer­den. Zweit­ens soll das meldende Unternehmen neu erst ab Eröff­nung ein­er Unter­suchung sank­tion­iert wer­den kön­nen und nicht wie bish­er bere­its ab Eröff­nung ein­er Vor­abklärung.
Zum Hin­ter­grund der Revi­sion erwäh­nt die Botschaft, dass sich das Kartellge­setz in der 2003 teil­re­v­i­dierten Fas­sung bewährt habe, wom­it vorder­hand die damals einge­führten Durch­set­zungsin­stru­mente ange­sprochen sind (direk­te Sank­tio­nen, Bonus­regelung). Die geset­zlich vorge­se­hene Eval­u­a­tion des teil­re­v­i­dierten Erlass­es habe aber in ver­schieden­er Hin­sicht Revi­sions­be­darf aufgezeigt, so bei der insti­tu­tionellen Aus­gestal­tung der Behör­den sowie ein­er “Rei­he materiell­rechtlich­er Bes­tim­mungen”. Darüber hin­aus gehe es — von der Eval­u­a­tion unab­hängig — ein­er­seits um die Erfül­lung des Auf­trags des Par­la­mentes, das eine Über­prü­fung des Sank­tio­nen­sys­tems gefordert habe (Motion Schwieger, 07.3856), und ander­er­seits darum, Mass­nah­men zu tre­f­fen, welche angesichts der Franken­stärke die Weit­er­gabe von Währungsvorteilen an den Schweiz­er End­kun­den sich­er­stellen sollen. Im Inter­esse ein­er lib­eralen Mark­tord­nung soll die Revi­sion des Kartellge­set­zes ganz all­ge­mein den Wet­tbe­werb in der Schweiz inten­sivieren und gle­ichzeit­ig die Rechtssicher­heit stärken.
Die Botschaft weist im Zusam­men­hang mit der laufend­en Revi­sion im Übri­gen auf zwei eben­falls das Kartellge­setz betr­e­f­fende par­la­men­tarische Vorstösse hin, welche sich derzeit aber noch in der par­la­men­tarischen Beratung befind­en (Par­la­men­tarische Ini­tia­tive Kauf­mann “Exis­ten­zge­fährdung infolge Kartell­bussen ver­hin­dern”, 08.443) bzw. deren Über­weisung derzeit noch offen ist (Motion Bir­rer-Heimo “Kartellge­set­zre­vi­sion gegen unzuläs­sige Preis­d­if­feren­zierun­gen”, 11.3984).
Weit­ere Infor­ma­tio­nen: Botschaft (PDF), Geset­ze­sen­twurf (PDF), Medi­en­doku­men­ta­tion (PDF), Über­sicht des EVD zur Revi­sion des Kartellge­set­zes (HTML), NZZ-Online vom 22. Feb­ru­ar 2012 (mit Hin­weisen auf Kri­tik aus Wis­senschaft, Poli­tik und Wirtschaft).