1B_471/2011 und 1B_473/2011: Grundsatz der Verfahrenseinheit und Vereinigung von Strafverfahren (amtl. Publ.)

In dem für die amtliche Samm­lung bes­timmten Urteil vom 24. Novem­ber 2011 (vere­inigte Ver­fahren 1B_471/2011 und 1B_473/2011) beschäftigt sich das Bun­des­gericht mit der Bestel­lung eines ausseror­dentlichen Staat­san­waltes im Zusam­men­hang mit dem Grund­satz der Ver­fahren­sein­heit und der Vere­ini­gung von Strafverfahren.

Zum Sachver­halt: Nach einem Stre­it unter Eheleuten stürmte die Son­dere­in­heit „Argus“ der Kan­ton­spolizei Aar­gau die ehe­liche Woh­nung, wobei eine Elek­troschock­pis­tole („Taser“) und zwei Schüsse gegen den Ehe­mann einge­set­zt wur­den. Daraufhin wurde ein­er­seits ein Strafver­fahren gegen Mit­glieder der Son­dere­in­heit und die Ein­sat­zleitung sowie ander­seits ein Strafver­fahren gegen den Ehe­mann eröffnet.

Vor diesem Hin­ter­grund strit­ten die Beteiligten darüber, welche Staat­san­waltschaft diese Strafver­fahren führen solle. Die Vorin­stanzen wiesen die Ver­fahren im Ergeb­nis drei ver­schiede­nen Staat­san­wäl­ten zu. Das Bun­des­gericht heisst die dage­gen erhobe­nen Beschw­er­den der Ober­staat­san­waltschaft und des Ehe­mannes gut; die Strafver­fahren sind dem­nach von ein­er einzi­gen Staat­san­waltschaft zu führen.

Zunächst wird in dem Urteil auf den Grund­satz der Ver­fahren­sein­heit gemäss Art. 29 StPO ver­wiesen, wonach Straftat­en unter anderem gemein­sam zu ver­fol­gen und beurteilen sind, wenn Mit­täter­schaft oder Teil­nahme vor­liegt (Abs. 1 lit. b).

3.2 […] Der Grund­satz der Ver­fahren­sein­heit bezweckt die Ver­hin­derung sich wider­sprechen­der Urteile, sei dies bei der Sachver­halts­fest­stel­lung, der rechtlichen Würdi­gung oder der Strafzumes­sung. Er gewährleis­tet somit das Gle­ich­be­hand­lungs­ge­bot (Art. 8 BV). Überdies dient er der Prozessökonomie […]. Gemäss Art. 33 StPO wer­den die Teil­nehmerin­nen und Teil­nehmer ein­er Straftat von den gle­ichen Behör­den ver­fol­gt und beurteilt wie die Täterin oder der Täter (Abs. 1). Ist eine Straftat von mehreren Mit­tä­terin­nen oder Mit­tätern verübt wor­den, so sind die Behör­den des Ortes zuständig, an dem zuerst Ver­fol­gung­shand­lun­gen vorgenom­men wor­den sind (Abs. 2). Art. 33 StPO soll als gerichts­stand­mäs­sige Entsprechung zu Art. 29 StPO sich­er­stellen, dass die an ein­er Straftat Beteiligten durch dieselbe Behörde in einem Ver­fahren ver­fol­gt und beurteilt wer­den kön­nen […]. Erforder­lich ist objek­tive Kon­nex­ität, die auch hin­sichtlich Vorge­set­zten gilt, die sich straf­bar gemacht haben kön­nen, weil sie die Tat eines Untergebe­nen nicht ver­hin­dert oder gar ver­an­lasst haben […].

Vor­liegend führt der ange­focht­ene Entscheid dazu, dass sich mit dem Ver­fahren drei ver­schiedene Staat­san­wälte befassen müssen, obwohl es um den gle­ichen Lebensvor­gang geht. Diese Entschei­dung wider­spricht somit dem Grund­satz der Verfahrenseinheit.

Fern­er spielt nach dem Urteil die Möglichkeit ein­er Vere­ini­gung der Strafver­fahren gemäss Art. 30 StPO eine Rolle, worauf sich die Beschw­erde­führer zwar nicht berufen hat­ten, welche aber von Amts zu berück­sichti­gen ist (vgl. Art. 106 Abs. 1 BGG):

5.5 […] Gemäss Art. 30 StPO kön­nen die Staat­san­waltschaft und die Gerichte aus sach­lichen Grün­den Strafver­fahren vere­inen. […] Für eine Vere­ini­gung nach Art. 30 StPO spricht vor allem der enge Sachzusam­men­hang ver­schieden­er Straftat­en (Botschaft vom 21. Dezem­ber 2005 zur Vere­in­heitlichung des Straf­prozess­rechts, BBl 2006 1142). Ein solch­er beste­ht namentlich, wenn sich Beteiligte gegen­seit­ig Straftat­en beschuldigen, die sie im Rah­men der gle­ichen Auseinan­der­set­zung began­gen haben sollen […].

Eine der­ar­tige Kon­stel­la­tion ist hier gegeben, da zwis­chen den – den Polizis­ten und dem Ehe­mann vorge­wor­fe­nen – straf­baren Hand­lun­gen offen­sichtlich ein enger Sachzusam­men­hang beste­ht. Es drängt sich daher die Vere­ini­gung der Ver­fahren bei ein­er ausseror­dentlichen Staat­san­waltschaft auf, was auch im Inter­esse der Prozessökonomie liegt und sich wider­sprechende Entschei­de verhindert.