2C_360/2010: Trotz Austritt aus Kirche keine Kürzung der allg. Kantonssteuer um den Anteil der Pfarrerlöhne am Gesamtaufwand des Kantons (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht hat entsch­ieden, dass trotz Aus­tritt aus der Kirche kein Anspruch auf Reduk­tion des Kan­ton­ss­teuer­an­teils um den Anteil der Pfar­rerlöhne am Gesam­taufwand des Kan­tons (i.c. 0.813%) besteht.

X. war aus der Kirche aus­ge­treten, weshalb sie auch keine Kirchen­s­teuer bezahlte. Weil aber im Kan­ton BE — im Unter­schied zu anderen Schweiz­er Kan­to­nen — die Pfar­rer der öffentlich-rechtlich anerkan­nten Kirchen vom Kan­ton besol­det wer­den, ver­langte sie zudem eine anteilsmäs­sige Reduk­tion des Kan­ton­ss­teuer­an­teils, vor­liegend 0.813%. Der Antrag wurde von den kan­tonalen Behör­den abgelehnt, die dage­gen erhobene Beschw­erde vom Bun­des­gericht abgewiesen.

Gemäss BV 15 (Glaubens- und Gewis­sens­frei­heit) darf nie­mand gezwun­gen wer­den, ein­er Reli­gion­s­ge­mein­schaft beizutreten oder anzuge­hören. Weit­er wird aus BV 15 I abgeleit­et, dass nie­mand gehal­ten sei, Steuern zu zahlen, welche speziell für eigentliche Kul­tuszwecke ein­er Reli­gion­sgenossen­schaft, der er nicht ange­hört, aufer­legt wer­den (aus­drück­lich in aBV 49 VI).

Gemäss Recht­sprechung galt die Garantie aBV 49 VI nur für die eigentlichen Kirchen­s­teuern, also “les impôts dont le pro­duit est spé­ciale­ment affec­té aux frais pro­pre­ment dits du culte”. Dage­gen bezog sie sich zwar nicht auf die all­ge­meinen Kan­ton­ss­teuern, mit denen die Kan­tone die Aufwen­dun­gen ein­er öffentlich-rechtlich anerkan­nten Kirche finanzierten, gemäss Prax­is wohl aber auf Beiträge, welche die Gemein­den aus ihren all­ge­meinen Mit­teln den genan­nten Kirchen zuwen­de­ten. Entsprechend kon­nten Steuerpflichtige, die der unter­stützten Kirche nicht ange­hörten, kon­nten eine entsprechende Reduk­tion ihrer Gemein­des­teuern ver­lan­gen (BGE 99 Ia 739 E. 3 S. 742 ff.).

Die Beschw­erde­führerin machte unter anderem gel­tend, die neue Bun­desver­fas­sung enthalte keine aBV 49 VI entsprechende Regel mehr, so dass der Grund für die (bish­erige prax­is­gemässe) Aus­nahme von der Steuer­be­freiung Kon­fes­sion­slos­er bei den kan­tonalen Steuern wegge­fall­en sei.

Das Bun­des­gericht zeigte zwar Ver­ständ­nis, dass “die Beschw­erde­führerin als Athe­istin auch nicht indi­rekt an die Besol­dung der Pfar­rer beitra­gen möchte.”

Es stützte sich beim Entscheid aber ins­beson­dere auf den Grund­satz, dass all­ge­meine Steuern voraus­set­zungs­los geschuldet sind und dass auf­grund der All­ge­mein­heit der Steuer bei deren Erhe­bung die Reli­gion­szuge­hörigkeit keine Rolle spielt.

E. 3.1 Die Steuerpflicht kann daher von vorn­here­in nicht mit Argu­menten bestrit­ten wer­den, die […] die Mit­telver­wen­dung durch den Staat betr­e­f­fen; denn bei Let­zter­er ist die Verbindung zur Mit­telbeschaf­fung beim Steuerpflichti­gen der­art lose, dass nicht gesagt wer­den kann, der Einzelne unter­stütze mit­tels sein­er Steuern eine bes­timmte Reli­gion­s­ge­mein­schaft. […] Der schweiz­erische Geset­zge­ber geht eben­falls davon aus, dass die Pflicht zur Bezahlung von Steuern und Prämien oblig­a­torisch­er Ver­sicherun­gen die Glaubens- und Gewis­sens­frei­heit nicht berührt und ihre Erfül­lung deshalb nicht unter Beru­fung auf dieses Grun­drecht abgelehnt wer­den kann.

E. 3.4 Selb­st wenn unter den gegebe­nen Umstän­den eine Berührung der Glaubens- und Gewis­sens­frei­heit bejaht würde, führte dies zu keinem anderen Ergeb­nis. Denn die Pflicht zur Bezahlung der unver­min­derten Kan­ton­ss­teuer erschiene gemäss BV 36 als zuläs­sige Ein­schränkung dieses Grun­drechts. Sie stützt sich unbe­strit­ten­er­massen auf eine geset­zliche Grund­lage im kan­tonalen Steuerge­setz. Das öffentliche Inter­esse an der Erhe­bung von Einkom­mens- und Ver­mö­genss­teuern ist offenkundig, eben­so an der staatlichen Unter­stützung der anerkan­nten Lan­deskirchen (vgl. Art. 123 Abs. 3 KV/BE). Schliesslich wäre auch der Grund­satz der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit gewahrt, da allen­falls lediglich von einem ger­ingfügi­gen Ein­griff in die Glaubens- und Gewis­sens­frei­heit gesprochen wer­den könnte.