6B_80/2011: Herausgabe von eingezogenen Vermögenswerten; Dritterwerber oder Direktbegünstigter

Im Zusam­men­hang mit der Einziehung bzw. Her­aus­gabe von beschlagnahmten Ver­mö­genswerten an die geschädigten Beschw­erdegeg­n­er geht es in dem Urteil 6B_80/2011 vom 8. Sep­tem­ber 2011 um die Rechts­frage, ob der Beschw­erde­führer als „Drit­ter­wer­ber“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 StGB oder als bloss­er „Direk­t­begün­stiger“ anzuse­hen ist. 

In Art. 70 Abs. 2 StGB wer­den die Voraus­set­zun­gen der Anerken­nung von Drit­ter­werb geregelt. Danach ist eine Einziehung aus­geschlossen, wenn ein Drit­ter die Ver­mö­genswerte in Unken­nt­nis der Einziehungs­gründe erwor­ben und soweit er für sie eine gle­ich­w­er­tige Gegen­leis­tung erbracht hat oder die Einziehung ihm gegenüber son­st eine unver­hält­nis­mäs­sige Härte darstellen würde.

Als Drit­ter­wer­ber gilt nach h.M. diejenige natür­liche oder juris­tis­che Per­son, welche einen konkreten delik­tisch erlangten Ver­mö­genswert nach der Tat im Rah­men eines Recht­süber­gangs ohne Kon­nex zur Tathand­lung vom Täter oder einem Direk­t­begün­stigten erwirbt, also an der Anlas­stat nicht in strafrechtlich rel­e­van­ter Weise beteiligt ist und an dem der Einziehung unter­liegen­den Ver­mö­genswert nach der straf­baren Hand­lung ein dinglich­es oder allen­falls oblig­a­torisches Recht erwirbt. Als Direk­t­begün­stigter ist hinge­gen der­jenige anzuse­hen, welchem die Werte unmit­tel­bar durch die Straftat zugekom­men sind, der mit andern Worten Direk­t­begün­stigter ist (vgl. auch BGE 115 IV 175).

In dem aktuellen Urteil zu Art. 70 Abs. 2 StGB heisst es weiter:

4.3 In Recht­sprechung und Lehre wird somit über den aus­drück­lichen Geset­zeswort­laut hin­aus grund­sät­zlich ein­schränk­end nur der­jenige als Drit­ter­wer­ber im Sinne von Art. 70 Abs. 2 StGB ange­se­hen, der einen Ver­mö­genswert erwirbt, den der Täter zuvor durch eine straf­bare Hand­lung erlangt hat […] Als Direk­t­begün­stiger ist demge­genüber der­jenige zu betra­cht­en, der — ohne sel­ber an der Straftat in strafrecht­srel­e­van­ter Weise beteiligt zu sein — den Ver­mö­genswert aus der Straftat “direkt” erlangt. “Direkt” in diesem Sinne meint, dass die Ver­mö­genswerte nicht zunächst durch einen andern Ver­mö­gen­sträger erlangt wer­den und dem Drit­ten erst infolge nachträglichen und legalen Erwerbs zuge­hen. Das gilt ins­beson­dere bei Vertre­tungsver­hält­nis­sen, also bei Han­deln für einen Anderen, wo die Wirkung der Recht­shand­lung des Vertreters unmit­tel­bar im Recht­skreis des Vertrete­nen ein­tritt […]. Im Übri­gen will auch die Botschaft den­jeni­gen Drit­ten in seinem Erwerb schützen, der die Ver­mö­genswerte gle­ichzeit­ig mit der Tat sowie danach erwor­ben hat (BBl 1993 III 277 ff., S. 309).


Im vor­liegen­den Fall wurde der Beschw­erdegeg­n­er 1 wegen Betrugs im Sinne von Art. 146 StGB verurteilt, weil er Bankangestellte, welche er mit­tels nicht exis­ten­ter Aufträge von zwei Kon­toin­hab­ern über seine Ver­fü­gungs­berech­ti­gung über deren Kon­ten täuschte, zu Las­ten der Beschw­erdegeg­n­er 2 und 3 hohe Sum­men abdisponieren und auf das Kon­to des Beschw­erde­führers über­weisen liess:

5. […] Der Ver­mö­genss­chaden trat vor­liegend bere­its mit dem Abdisponieren der Ver­mö­genswerte von den Kon­ten der Geschädigten bzw. Beschw­erdegeg­n­er 2 und 3 und […] nicht erst mit dem Über­weisen der USD 500’000.– auf das Kon­to des Beschw­erde­führers ein. Der Betrug des Beschw­erdegeg­n­ers 1 war damit fol­glich mit dem Abzug der Gelder von den Kon­ten der Geschädigten vol­len­det […]. Die von den Kon­ten abge­zo­ge­nen Gelder fie­len mit der betrügerischen “Brechung” der Ver­fü­gungs­macht der recht­mäs­si­gen Kon­toin­hab­er für eine logis­che Sekunde beim Beschw­erdegeg­n­er 1 im Sinne eines Durch­gangser­werbs an, bevor die Ver­mö­genswerte auf das Kon­to des Beschw­erde­führers über­wiesen und dort gut­geschrieben wur­den. Der Beschw­erde­führer erwarb die von den Kon­ten der Beschw­erdegeg­n­er 2 und 3 abdisponierten Gelder fol­glich nach der Tat und nicht durch die Tat […]. […] Der Beschw­erde­führer ist damit angesichts des Umstands, dass die Ver­mö­genswerte für eine logis­che Sekunde bei einem andern Ver­mö­gen­sträger — näm­lich dem Täter bzw. dem Beschw­erdegeg­n­er 1 — ange­fall­en sind, ent­ge­gen der Auf­fas­sung Vorin­stanz nicht Direk­t­begün­stigter, son­dern Drit­twer­ber und fällt daher unter den Anwen­dungs­bere­ich von Art. 70 Abs. 2 StGB.

Das Bun­des­gericht heisst die Beschw­erde gut und weist die Sache an die Vorin­stanz zurück. Es wird darüber zu befind­en sein, ob der Beschw­erde­führer die Ver­mö­genswerte im Sinne von Art. 70 Abs. 2 StGB gut­gläu­big (d.h. in Unken­nt­nis der Einziehungs­gründe) erwor­ben und für sie eine gle­ich­w­er­tige Gegen­leis­tung erbracht hat. Dies­bezüglich ist darauf hinzuweisen, dass der Staat sämtliche Voraus­set­zun­gen für eine Einziehung beim Drit­ten zu beweisen hat (E. 3; vgl. auch Urteil 6B_925/2009 E. 5.3 vom 11. März 2010).