6B_74/2011: Schweizerische Gerichtsbarkeit und rechtshängige Zivilforderung

Die Zuständigkeit von schweiz­erischen Gericht­en und die Recht­shängigkeit von Zivil­forderun­gen im Straf­prozess sind Gegen­stand des bun­des­gerichtlichen Urteils 6B_74/2011 vom 13. Sep­tem­ber 2011. Das Bun­des­gericht heisst die Beschw­erde in dem zweit­en Punkt gut, soweit eine Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs gerügt wurde.

Im Hin­blick auf die schweiz­erische Gerichts­barkeit in inter­na­tionalen Sachver­hal­ten (Art. 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 StGB) ver­weist das Bun­des­gericht auf einen aktuellen Entscheid:

2.3 […] Das Bun­des­gericht erwog in BGE 133 IV 171 E. 6.3 S. 177, zur Ver­mei­dung neg­a­tiv­er Kom­pe­ten­zkon­flik­te erscheine es im inter­na­tionalen Ver­hält­nis grund­sät­zlich geboten, auch in Fällen ohne engen Bezug zur Schweiz die schweiz­erische Zuständigkeit zu beja­hen. Als Anknüp­fungspunkt in der Schweiz genüge namentlich, dass im Aus­land ertro­gene Gelder auf einem Schweiz­er Bankkon­to gut­geschrieben wer­den (vgl. auch Urteil 6B_178/2011 vom 20. Juni 2011 E.3).

Im vor­liegen­den Fall ein­er mehrfachen Verun­treu­ung (Art. 138 Ziff. 1 StGB) hat­te der Beschw­erde­führe X mehrere im Aus­land erwirtschaftete Geld­be­träge von Y erhal­ten, um diese in der Schweiz anzule­gen. Diese Sum­men wur­den auf dem eigens dazu eröffneten Kon­to bei der früheren A‑Bank in Basel ein­bezahlt. Dieses Kon­to hat er später eigen­mächtig saldieren lassen und die Über­weisung der Ver­mö­genswerte auf ein auf seinen Namen lau­t­en­des Kon­to bei der dama­li­gen B‑Bank in Basel ver­an­lasst. Weit­ere zur Ver­fü­gung gestellte Geld­sum­men, welche er eben­falls auf das Kon­to bei der Bank A‑AG hätte über­weisen müssen, hat er ohne Wis­sen und Willen von Y auf ein eigenes Kon­to bei der C‑Bank in Genf ein­bezahlt. Damit vol­len­dete und been­dete er die Verun­treu­ung und führte die Tat teil­weise in Genf aus. Damit liegt der Bege­hung­sort gemäss Art. 8 Abs. 1 StGB in der Schweiz.

Hin­sichtlich der möglicher­weise recht­shängi­gen Zivil­forderung, die der Beschw­erdegeg­ner­in 2 durch die Vorin­stanz zuge­sprochen wor­den war, rügte der Beschw­erde­führer laut Bun­des­gericht zu recht eine Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV):

3.3 Die Vorin­stanz wirft dem Beschw­erde­führer vor, es ver­säumt zu haben, die Klageschrift aus dem Zivil­prozess im Straf­prozess einzure­ichen respek­tive die Recht­shängigkeit zu beweisen. Dem kann aus ver­schiede­nen Grün­den nicht gefol­gt werden:
Ein­er­seits erhob der Beschw­erde­führer aus­drück­lich die Einrede der Litispendenz. Er hat damit vorge­bracht, die Beschw­erdegeg­ner­in 2 habe die Zivil­forderung in einem inzwis­chen sistierten Zivil­prozess eingeklagt und damit recht­shängig gemacht. Eine Recht­shängigkeit ist — auch wenn das zwei­tangerufene Gericht regelmäs­sig auf Hin­weise des Beklagten angewiesen ist — als Prozessvo­raus­set­zung von Amtes wegen zu beacht­en. Sie hat zur Folge, dass auf eine zweite iden­tis­che Klage nicht einzutreten ist (BGE 127 III 279 E. 2b S. 283 […]). Die Berück­sich­ti­gung von Amtes wegen fol­gt aus dem Umstand, dass dem Kläger für eine neue Klage gegen die gle­iche Per­son und über densel­ben Gegen­stand das Rechtss­chutz­in­ter­esse fehlt […].
Ander­er­seits geht die Vorin­stanz — indem sie dem Beschw­erde­führer vor­wirft, die Litispendenz wed­er dar­ge­tan noch bewiesen zu haben — zumin­d­est impliz­it davon aus, dass eine schriftliche Klage­be­grün­dung im Zivil­prozess vor­lag […]. Ob die Zivilk­lage von der Beschw­erdegeg­ner­in 2 tat­säch­lich bere­its begrün­det wurde, geht aus den Erwä­gun­gen der Vorin­stanz hinge­gen nicht her­vor. Falls die Beschw­erdegeg­ner­in 2 die adhä­sion­sweise im Strafver­fahren eingeklagte Forderung vorgängig und iden­tisch beim Zivil­gericht Basel-Stadt ein­gere­icht hätte, kön­nte das später ersuchte Gericht, soweit das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit bejaht, auf diese nicht ein­treten (vgl. Art. 404 ZPO/CH). Solch­es hat die Vorin­stanz von Amtes wegen zu prüfen.

Vor­liegend führte das Zivil­gericht Basel-Stadt eine Ver­mit­tlungsver­hand­lung (§ 45a ZPO/BS) durch und sistierte anschliessend das Ver­fahren. Deshalb ist es nicht aus­geschlossen, dass eine Klage­be­grün­dung gar nicht vor­lag. Denn die zwis­chen­zeitlich aufge­hobene ZPO/BS sah Aus­nah­men von der sofor­ti­gen schriftlichen Klage­be­grün­dung vor der Zivil­gerichts-Kam­mer vor, ins­beson­dere wenn mit der Klage gle­ichzeit­ig ein Gesuch um Ver­mit­tlung gestellt wurde (§ 37 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO/BS). In diesem Fall wäre es dem Beschw­erde­führer nicht möglich, Aus­führun­gen zur Klagei­den­tität zu machen respek­tive eine solche zu beweisen. Entsprechen­des hat die Vorin­stanz von Amtes wegen zu prüfen. Die Vorin­stanz ver­let­zt das rechtliche Gehör des Beschw­erde­führers, indem sie zur Frage der Litispendenz die Akten des zivil­rechtlichen Ver­fahrens nicht beizieht und die Prozessvo­raus­set­zun­gen nicht prüft. Entsprechen­des hat sie nachzuholen.