9C_416/2011: Anrechung des weiterhin erzielten oder des zumutbar erzielbaren Einkommens in der berufsvorsorgerechtlichen Überentschädigungsberechnung

Im Entscheid 9C_416/2011 vom 19. Juli 2011 hat­te das Bun­des­gericht zu prüfen, ob ein hypo­thetis­ches Erwerb­seinkom­men im Rah­men der berufsvor­sorg­erechtlichen Über­entschädi­gungs­berech­nung anrechen­bar sei und falls ja, in der Folge kein Anspruch auf Invali­den­leis­tun­gen aus der beru­flichen Vor­sorge bestünde. 

S. mit Jahrgang 1968 war bei der Fir­ma Z. angestellt und bei der Sam­mel­s­tiftung C. für die beru­fliche Vor­sorge ver­sichert. Vom 1. März 2003 bis 31. Juli 2003 erhielt sie eine ganze und seit dem 1. August 2003 eine halbe Invali­den­rente (Inva­lid­itäts­grad 55%). Die SUVA sprach S. für die Zeit vom 1. Novem­ber 2003 bis zum 31. Okto­ber 2007 eine Über­gan­gentschädi­gung auf­grund ein­er Nick­e­lal­lergie zu. Die Sam­mel­s­tiftung ermit­telte unter Anrech­nung eines zumut­baren Ver­di­en­stes und der aus­gerichteten Invali­den­rente eine Über­entschädi­gung, weshalb sie einen Leis­tungsanspruch aus beru­flich­er Vor­sorge verneinte. Dage­gen erhob S. Klage auf ungekürzte Inva­lid­ität­sleis­tun­gen der beru­flichen Vor­sorge ab 1. Novem­ber 2007 bei einem Inva­lid­itäts­grad von 55%. Das Ver­sicherungs­gericht des Kan­tons St. Gallen wies die Klage ab, woraufhin S. eine Beschw­erde in öffentlich-rechtlichen Angele­gen­heit­en beim Bun­des­gericht einreichte. 

Das Bun­des­gericht wies die Beschw­erde ab. 

Um ungerecht­fer­tigte Vorteile eines Ver­sicherten bei Zusam­men­tr­e­f­fen mehrerer Leis­tun­gen zu ver­hin­dern, darf eine Vor­sorgeein­rich­tung die Voraus­set­zun­gen und den Umfang ein­er Kürzung nach Art. 24 Abs. 5 BVV2 jed­erzeit über­prüfen und allen­falls eine Leis­tungsan­pas­sung vornehmen. Gemäss Art. 24 Abs. 2 BVV2 ist bei IV-Bezügern sowohl das effek­tiv erzielte als auch das zumut­bar­erweise noch erziel­bare Erwerbs- und Ersatzeinkom­men bei der Über­entschädi­gungs­berech­nung anzurechnen. 

In Erwä­gung 2.2 hielt das Bun­des­gericht fest: 

2.2 Nach der Recht­sprechung wird im Rah­men der berufsvor­sorg­erechtlichen Über­entschädi­gungs­berech­nung das weit­er­hin erzielte oder zumut­bar­erweise noch erziel­bare Erwerbs- oder Ersatzeinkom­men angerech­net. Es beste­ht eine Ver­mu­tung, wonach das zumut­bar­erweise noch erziel­bare Erwerb­seinkom­men mit dem von der IV-Stelle ermit­tel­ten Invali­deneinkom­men übere­in­stimmt (BGE 134 V 64 E. 4.1.3 S. 70). Das gemäss Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BVV2 anrechen­bare Einkom­men basiert — anders als das Invali­deneinkom­men — auf dem Zumut­barkeits­grund­satz, der die Berück­sich­ti­gung der gesamten objek­tiv­en und sub­jek­tiv­en Umstände, auch in arbeits­mark­tlich­er Hin­sicht, ver­langt, wobei auch bei der Würdi­gung der sub­jek­tiv­en Gegeben­heit­en und Möglichkeit­en ein­er bes­timmten ver­sicherten Per­son ein objek­tiv­er Massstab anzule­gen ist. Solche sub­jek­tiv­en Gegeben­heit­en, denen unter Zumut­barkeits­gesicht­spunk­ten Rech­nung zu tra­gen ist, sind alle Umstände, welche — im Rah­men ein­er objek­tivieren­den Prü­fung — für die effek­tiv­en Chan­cen des betr­e­f­fend­en Ver­sicherten, auf dem jew­eili­gen tat­säch­lichen Arbeits­markt eine geeignete und zumut­bare Arbeitsstelle zu find­en, von wesentlich­er Bedeu­tung sind (BGE 134 V 64 E. 4.2.1 S. 70 f.).

Weit­er stellte das Bun­des­gericht erneut klar, dass bei der Anrech­nung eines hypo­thetis­chen Arbeit­seinkom­men im Rah­men der Über­entschädi­gungs­berech­nung die gle­ichen Grund­sätze zur Anwen­dung gelan­gen, wie bei der Berück­sich­ti­gung des Verzicht­seinkom­mens nach Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG.

Denn die geset­zliche Ver­mu­tung geht dahin, dass es dem teil­in­vali­den Bezüger ein­er Rente der beru­flichen Vor­sorge möglich und zumut­bar wäre, in Berück­sich­ti­gung der gesamten objek­tiv­en und sub­jek­tiv­en Umstände im Rah­men des von der Invali­den­ver­sicherung fest­gestell­ten restlichen Leis­tungsver­mö­gens ein bes­timmtes Einkom­men zu ver­di­enen (Art. 24 Abs. 2 BVV2; BGE 137 V 20 E. 2.2 S. 23). Für die Frage wiederum, ob im EL-Bere­ich bei Teil­in­vali­den ein Verzicht­seinkom­men anzurech­nen ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG; seit 1. Jan­u­ar 2008: Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG; Art. 14a Abs. 1 und 2 lit. a ELV), sind recht­sprechungs­gemäss die inva­lid­itäts­frem­den Fak­toren wie Alter, Sprachken­nt­nisse, Aus­bil­dung, bish­erige Tätigkeit sowie die konkrete Arbeits­mark­t­lage zu berück­sichti­gen (erwäh­ntes Urteil 9C_73/2010 E. 6.1; vgl. BGE 117 V 153 E. 2c S. 156). Angesichts dieser offenkundi­gen Par­al­le­len zwis­chen beru­flich­er Vor­sorge und der Anrech­nung eines hypo­thetis­chen Arbeit­ser­werbs im Rah­men der Prü­fung des Anspruchs auf Ergänzungsleis­tun­gen liegt es auf der Hand, für die Belange der Über­entschädi­gungs­berech­nung nach Art. 24 Abs. 1 und 2 BVV2 die zum ergänzungsleis­tungsrechtlichen Verzicht­seinkom­men ergan­gene Recht­sprechung heranzuziehen.