5A_335/2011: Fürsorgerischer Freiheitsentzug; Gutachten betreffend psychischer Krankheit

In dem zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil 5A_335/2011 vom 7. Juni 2011 hält das Bun­des­gericht fest, wann eine Geis­teskrankheit im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB vor­liegt, so dass eine für­sorg­erischen Frei­heit­sentzug nach Art. 397e Ziff. 5 ZGB nur unter Beiziehung eines Gutachters erfol­gen darf.

4.2 Nach Art. 397e Ziff. 5 ZGB darf bei psy­chisch Kranken nur unter Beizug eines Sachver­ständi­gen entsch­ieden wer­den. Psy­chisch Kranke im Sinne dieser Bes­tim­mung kön­nen nicht nur Geis­teskranke, son­dern auch Geistess­chwache, Suchtkranke, oder völ­lig Ver­wahrloste im Sinne von Artikel 397a Abs. 1 ZGB sein (Art. 397b Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 397e Ziff. 5 ZGB; siehe zum Ganzen: Botschaft, BBl 1977 III 31 […]). Es han­delt sich also um all jene Per­so­n­en, die ein­er­seits einen der für­sorg­erischen Gründe gemäss Art. 397a Abs. 1 ZGB erfüllen und ander­seits sin­nvoller­weise durch die Anstalt­spsy­chi­a­trie betreut wer­den müssen. Eine der­ar­tige Betreu­ung drängt sich häu­fig auch bei Suchtkranken, ins­beson­dere bei Alko­ho­lik­ern oder Rauschgift­süchti­gen auf (Botschaft, a.a.O., S. 31). Aber auch die Bes­tim­mungen über die für­sorg­erische Unter­bringung, welche jene über die für­sorg­erische Frei­heit­sentziehung erset­zen wer­den, sehen in Art. 450e Abs. 3 aus­drück­lich vor, dass bei psy­chis­chen Störun­gen gestützt auf das Gutacht­en ein­er sachver­ständi­gen Per­son entsch­ieden wer­den muss. Dabei wird unter den Begriff der psy­chis­chen Störung auch die Alkohol‑, Dro­gen- und Medika­menten­sucht sub­sum­iert, da auch diese Suchterkrankun­gen von den Fach­leuten als psy­chis­che Störun­gen ver­standen wer­den (Botschaft zur Änderung des Schweiz­erischen Zivilge­set­zbuch­es [Erwach­se­nen­schutz, Per­so­n­en­recht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, Bun­des­blatt 2006 Nr. 36, S. 7043).


In casu litt die Beschw­erde­führerin in erhe­blichem Masse an einem Alko­hol­prob­lem, das sich zunehmend neg­a­tiv auf ihren Lebensver­lauf auswirkt. Das Bun­des­gericht hiess daher ihre Beschw­erde teil­weise gut; die Beschw­erde­führerin wurde aber nicht ihrem Antrag entsprechend unverzüglich ent­lassen. Das Bun­des­gericht hob zwar das ange­focht­ene Urteil auf, ver­wies die Sache aber zurück an die Vorin­stanz. Diese muss inner­halb ein­er Frist von 30 Tagen ein Gutacht­en ein­holen und neu über den für­sorg­erischen Frei­heit­sentzug entschei­den. Die Anforderun­gen an das Gutacht­en beschreibt das Bun­des­gericht wie folgt:

4.4 Der Gutachter gemäss Art. 397e Ziff. 5 ZGB muss ein aus­gewiesen­er Fach­mann, aber auch unab­hängig sein (BGE 118 II 249; BGE 119 II 319 E. 2b S. 321 f.) und er darf sich nicht bere­its im gle­ichen Ver­fahren über die Krankheit der betrof­fe­nen Per­son geäussert haben (BGE 128 III 12 E. 4a S. 15). […]
4.5 Das gestützt auf Art. 397e Ziff. 5 ZGB anzuord­nende Gutacht­en hat sich ins­beson­dere über den Gesund­heit­szu­s­tand der Beschw­erde­führerin zu äussern, fern­er darüber, wie sich allfäl­lige gesund­heitliche Störun­gen hin­sichtlich der Gefahr ein­er Selb­st- oder Drittge­fährdung, aber auch der Ver­wahrlosung auswirken kön­nen und ob sich daraus ein Hand­lungs­be­darf ergibt. Fern­er ist durch den Gutachter zu prüfen, ob auf­grund des fest­gestell­ten Hand­lungs­be­darfs eine sta­tionäre Behand­lung uner­lässlich ist, schliesslich ob eine Anstalt zur Ver­fü­gung ste­ht und wenn ja (nöti­gen­falls) warum die vorgeschla­gene Anstalt für die Behand­lung der Beschw­erde­führerin infrage kommt (zum Inhalt des Gutacht­ens vgl. Urteil 5A_137/2008 vom 28. März 2008 E. 3).