6B_1007/2010: Check- und Kreditkartenmissbrauch

Im Urteil vom 28. März 2011 (6B_1007/2010) erörtert das Bun­des­gericht im Rah­men des Check- und Kred­itkarten­miss­brauchs (Art. 148 StGB), welche Mass­nah­men gegen den Miss­brauch ein­er Kred­itkarte durch das Opfer ergrif­f­en wer­den müssen.

Eine Bestra­fung wegen Check- und Kred­itkarten­miss­brauchs gemäss Art. 148 Abs. 1 StGB set­zt voraus, dass der Karte­naussteller und das Ver­trag­sun­ternehmen die ihnen zumut­baren Mass­nah­men gegen den Miss­brauch der Karte ergrif­f­en haben (objek­tive Straf­barkeits­be­din­gung, vgl. BGE 125 IV 260):

1.5.1 Der Karte­naussteller muss vor der Ausstel­lung der Kred­itkarte namentlich prüfen, ob der Antrag­steller zahlungs­fähig ist (BGE 125 IV 260 E. 4b) und die erforder­lichen Mass­nah­men ergreifen, um Miss­bräuchen beim Ein­satz der Karte ent­ge­gen­zuwirken. Als zumut­bar gel­ten nach der Recht­sprechung Schutzvorkehren, die branchenüblich, tech­nisch möglich und wirtschaftlich trag­bar sind (BGE 125 IV 260 E. 2). Erforder­lich ist zudem, dass der Schaden­sein­tritt mit der Mass­nahme hätte ver­hin­dert wer­den kön­nen. Ein allfäl­liges Unter­lassen der Bonität­sprü­fung ist daher strafrechtlich uner­he­blich, wenn es auch bei gehöriger Prü­fung zum Schaden gekom­men wäre, etwa weil der fehlende Zahlungswille des an sich zahlungs­fähi­gen Schuld­ners für den Karte­naussteller nicht erkennbar war (BGE 125 IV 260 E. 2; Urteil 6S.533/1999 vom 3. März 2000 E. 8d — f). Für die Frage, welche Schutz­mass­nah­men als zumut­bar zu gel­ten haben, gibt es keinen all­ge­me­ingülti­gen Massstab. Entschei­dend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls, namentlich auch die Kred­itlim­ite (vgl. BGE 127 IV 68 E. 3b/bb; 125 IV 260 E. 4b S. 266).

Die strafrechtliche Sorgfalt­spflicht des Opfers ori­en­tiert sich grund­sät­zlich an dessen zivil­rechtlichen Pflicht­en; die zivil­rechtlichen Prü­fungspflicht­en bei der Ver­gabe von Kon­sumkred­iten wer­den in Art. 28 ff. KKG konkretisiert: 

4.3.3 […] Art. 30 Abs. 1 KKG verpflichtet die Kred­it­ge­berin bzw. das Kred­itkarte­nun­ternehmen im Rah­men eines Kred­it- oder Kun­denkartenkon­tos mit Kred­i­top­tion oder eines Überziehungskred­its auf laufen­d­em Kon­to die Kred­it­fähigkeit des Antrag­stellers sum­marisch zu prüfen. Sie stützt sich dabei auf die Angaben des Antrag­stellers über seine Ver­mö­gens- und Einkom­mensver­hält­nisse. Die Kred­it­ge­berin darf sich auf die Angaben des Kon­sumenten zu den finanziellen und wirtschaftlichen Ver­hält­nis­sen ver­lassen (Art. 31 Abs. 1 KKG). Vor­be­hal­ten bleiben Angaben, die offen­sichtlich unrichtig sind oder den­jeni­gen der Infor­ma­tion­sstelle wider­sprechen (Art. 31 Abs. 2 KKG). Zweifelt die Kred­it­ge­berin an der Richtigkeit der Angaben des Kon­sumenten, so muss sie deren Richtigkeit anhand ein­schlägiger amtlich­er oder pri­vater Doku­mente wie des Auszugs aus dem Betrei­bungsreg­is­ter oder eines Lohnausweis­es über­prüfen (Art. 31 Abs. 3 KKG).


Im vor­liegen­den Fall hat­te die geschädigte Post­fi­nance vor der Eröff­nung des Postkon­tos die Iden­tität des Beschw­erde­führers ver­i­fiziert und sich auf den Eröff­nungs­for­mu­la­ren nach dessen Arbeit­ge­ber erkundigt. Nach Ansicht des Bun­des­gerichts durfte sie grund­sät­zlich auf diese Angaben abstellen:

1.5.2 […] Bei der Aushändi­gung ein­er Post­card mit ein­er Überzugslim­ite von Fr. 1’000 […] dür­fen gerin­gere Anforderun­gen an die Zahlungs­fähigkeit und an deren Über­prü­fung gestellt wer­den als bei ein­er Kred­itver­gabe in der Höhe von mehreren tausend Franken (vgl. BGE 125 IV 260 E. 5). Die Vorin­stanz weist zudem zu Recht darauf hin, dass die Post als öffentlich-rechtliche Anstalt des Bun­des verpflichtet ist, in der ganzen Schweiz den Zahlungsverkehr sicherzustellen. Sie darf die Errich­tung eines Postkon­tos nicht beliebig ver­weigern (Urteil 4A_417/2009 vom 26. März 2010 E. 3). Der Post­fi­nance kann im Zusam­men­hang mit der Ausstel­lung der Post­card daher keine Ver­let­zung ihrer Prü­fungspflicht vorge­wor­fen wer­den, nach­dem auch eine einge­hen­dere Über­prü­fung der Zahlungs­fähigkeit des Beschw­erde­führers nicht zur Ver­weigerung der Karte geführt hätte. Ent­ge­gen dem Ein­wand des Beschw­erde­führers ver­hielt sich die Post­fi­nance auch nicht pflichtwidrig, weil sie zur Sicherung der Überzugslim­ite von Fr. 1’000.– keine Ein­zahlung auf das Kon­to ver­langte. Ein solch­es Kon­toguthaben hätte durch Ver­wen­dung der Karte rasch aufgezehrt wer­den kön­nen und hätte am fehlen­den Zahlungswillen des Beschw­erde­führers nichts geän­dert (vgl. Urteil 6S.533/1999 vom 3. März 2000 E. 8e/bb).

Später ver­wen­dete der Beschw­erde­führer die Post­card in ver­schiede­nen Tankstel­len­shops, obwohl er bere­its den vollen Überziehungskred­it bezo­gen hat­te, ohne etwas auf das Kon­to einzuzahlen. Post­fi­nance war laut Bun­des­gericht nicht verpflichtet, eine Onlineüber­prü­fung vorzunehmen, um Bezüge über die Überzugslim­ite hin­aus oder mit ges­per­rten Karten zu verhindern:

1.5.3 […] Ob eine solche Onlineüber­prü­fung zumut­bar gewe­sen wäre, wurde vom Bun­des­gericht bis anhin offen­ge­lassen (Urteil 6S.533/1999 vom 3. März 2000 E. 8c). Die Frage braucht auch vor­liegend nicht beant­wortet zu wer­den. Das Bun­des­gericht betonte bere­its, dass das Einge­hen eines jedem ungesicherten Kred­it innewohnen­den Risikos nicht eo ipso eine die Straf­barkeit des Karten­in­hab­ers auss­chliessende Mitver­ant­wor­tung des Karte­nausstellers begrün­det. Der Karten­in­hab­er, der durch Ver­wen­dung der Karte die ihm gewährte Kred­itlim­ite auss­chöpft bzw. über­steigt und nicht gewil­lt ist, den Minus­sal­do frist­gerecht auszu­gle­ichen, ver­hält sich in strafwürdi­ger Weise illoy­al, nicht wesentlich anders als der­jenige, welch­er einen Kred­it erlangt und dabei ver­schweigt, dass er zu dessen Rück­zahlung nicht gewil­lt ist (vgl. Urteil 6S.533/1999 vom 3. März 2000 E. 8e/bb).

Siehe auch den weit­eren Beitrag zu diesem Urteil zur Frage der Betrugsstraf­barkeit.