1B_224/2010: Ausstandsgesuch gegen Strafverfolgungsbeamte

Der Aus­stand eines Staat­san­waltes auf Gesuch des Angeschuldigten ist Gegen­stand des Urteils 1B_224/2010 vom 11. Jan­u­ar 2011 (vere­inigt mit Ver­fahren 1B_266/2010). Der Beschw­erde­führer rügte vor dem Bun­des­gericht, dass sich der Strafver­fol­gungs­beamte der Amts­ge­heimnisver­let­zung schuldig gemacht habe. Die Abweisung seines Aus­stands­ge­such­es ver­let­ze ins­beson­dere Art. 30 BV. Die Beschw­erde wurde abgewiesen.

Nach der ständi­gen Recht­sprechung des Bun­des­gerichts hat die angeschuldigte Per­son keinen Anspruch darauf, dass Staat­san­wälte, Unter­suchungsrichter oder mit Ermit­tlun­gen beauf­tragte Polizeior­gane mit qual­i­fiziert­er richter­lich­er Unab­hängigkeit aus­ges­tat­tet wür­den. Die in Art. 30 Abs. 1 BV (Gerichtliche Ver­fahren) sta­tu­ierten Grund­sätze dür­fen nicht unbe­se­hen auf nicht richter­liche Behör­den bzw. auf Art. 29 Abs. 1 BV (All­ge­meine Ver­fahrens­garantien) über­tra­gen werden:

4.5.1 […] Im Inter­esse ein­er beförder­lichen Recht­spflege sind Ablehnungs- und Aus­stands­begehren gegen Jus­tizper­so­n­en nicht leichthin gutzuheis­sen, zumal eine Bewil­li­gung der Begehren zur Kom­plizierung und Verzögerung des Ver­fahrens führen kann. Zu beacht­en sind jew­eils auch die unter­schiedlichen geset­zlichen Funk­tio­nen des Straf- oder des Zwangs­mass­nah­men­richters ein­er­seits und der Unter­suchungs- bzw. Ermit­tlung­sor­gane ander­seits. Von Let­zteren sind Sach­lichkeit, Unbe­fan­gen­heit und Objek­tiv­ität namentlich insofern zu erwarten, als sie sich vor Abschluss der Vorun­ter­suchung grund­sät­zlich nicht darauf fes­tle­gen sollen, dass der beschuldigten Per­son ein straf­bares Ver­hal­ten zur Last zu leg­en sei. Auch haben sie den ent­las­ten­den Indizien und Beweis­mit­teln eben­so Rech­nung zu tra­gen wie den belas­ten­den […].
4.5.2 Strafver­fol­gung­sor­gane kön­nen grund­sät­zlich abgelehnt wer­den, wenn Umstände (etwa straf­prozes­su­al unzuläs­sige vorverurteilende Äusserun­gen) vor­liegen, welche nach objek­tiv­en Gesicht­spunk­ten geeignet sind, den Anschein der Befan­gen­heit zu erweck­en […]. In der Regel ver­mö­gen all­ge­meine Ver­fahrens­mass­nah­men, seien sie nun richtig oder falsch, als solche keine Vor­ein­genom­men­heit der ver­fü­gen­den Jus­tizper­son zu begrün­den […]. Soweit konkrete Ver­fahrens­fehler eines Staat­san­waltes, Unter­suchungsrichters oder polizeilichen Ermit­tlungs­beamten bean­standet wer­den, kom­men als möglich­er Ablehnungs­grund jeden­falls nur beson­ders krasse oder ungewöhn­lich häu­fige Ver­säum­nisse und Män­gel in Frage ([…].

In casu lag kein krass­er Ver­fahrens­fehler des Staat­san­waltes darin, dass er die Ein­stel­lungsver­fü­gung an die ver­fahrens­beteiligten Pri­vat­strafk­läger eröffnete. Zwar machte der Beschw­erde­führer gel­tend, ein in der Ver­fü­gung enthal­tener indi­rek­ter Hin­weis auf ein anderes gegen ihn hängiges Strafver­fahren sei als Amts­ge­heimnisver­let­zung zu werten. Die Strafanzeige gegen den Staat­san­walt war jedoch mit Nich­tan­hand­nah­mev­er­fü­gung erledigt wor­den, und der dage­gen erhobene Rekurs wurde abgewiesen. Dass der Beschw­erde­führer an sein­er Strafanzeige fes­thielt und gegen die ablehnen­den Entschei­de eine sep­a­rate Beschw­erde beim Bun­des­gericht ergrif­f­en hat (Ver­fahren 6B_485/2010), ver­mochte allein keinen Aus­stands­grund zu bilden:

4.7 […] Anders zu entschei­den hiesse, dass es prak­tisch im Belieben eines Angeschuldigten stünde, den unter­suchungs­führen­den Staat­san­walt mit­tels Strafanzeige in den Aus­stand zu schick­en bzw. die Aus­stands­frage (und damit die Stra­fun­ter­suchung) über län­gere Zeit in der Schwebe zu lassen. Ein Aus­nah­me­fall, bei dem ein straf­bares bzw. krass geset­zwidriges Ver­hal­ten des Unter­suchungsleit­ers erstellt bzw. liq­uide ersichtlich wäre, ist hier nicht gegeben.

Zur Frage des Aus­standes eines Unter­suchungs­beamten siehe auch das kurz zuvor veröf­fentlichte Urteil vom 20. Dezem­ber 2010 (1B_332/2010), das die Erwä­gun­gen in E. 4.5.1–2 fast wort­gle­ich in E. 4.1 aufweist.