2C_8/2010: Zulässigkeit der Kontaktaufnahme mit potentiellen Zeugen (amtl. Publ.)

Die Kon­tak­tauf­nahme mit einem poten­tiellen Zeu­gen durch einen Anwalt ist kri­tisch, weil eine Zeu­gen­bee­in­flus­sung in Kauf genom­men wird; das kann Art. 7 Abs. 1 der Schweiz­erischen Standesregeln und BGFA 12 a ver­let­zen. Gle­ichzeit­ig kann die Kon­tak­tauf­nahme anwalt­srechtlich sog­ar geboten sein.

Zur Beurteilung der Zuläs­sigkeit ein­er solchen Kon­tak­tauf­nahme übern­immt das BGer im vor­liegen­den Entscheid die von der Lehre und den Auf­sichts­be­hör­den entwick­el­ten Kri­te­rien (Konkretisierung von BGFA 12 a):

  • die Kon­tak­tauf­nahme ist nur aus­nahm­sweise zulässig
  • es muss ein sach­lich­er Grund vor­liegen, zB das Ein­schätzen der Aus­sicht­en prozes­sualer Hand­lun­gen, zB eines Beweisantrags oder eines Rechtsmittels
  • der Anwalt hat Vor­sichts­mass­nah­men zu ergreifen (schriftlich­es Ersuchen um ein Gespräch mit dem Hin­weis, dass der poten­tielle Zeuge wed­er zum Erscheinen noch zur Aus­sage verpflichtet ist)
  • Hin­weis an den Zeu­gen, im Inter­esse welch­es Man­dan­ten das Gespräch stat­tfind­en soll
  • Durch­führung des Gesprächs ohne den Man­dan­ten und wenn möglich beim Anwalt, gegebe­nen­falls mit ein­er Drittper­son als Gesprächszeugin 
  • keine Druck­ausübung, insb. nicht zu ein­er bes­timmten Aussage
  • keine Nachteil­san­dro­hung für den Fall des Schweigens 
  • keine Sug­ges­tivfra­gen

Im vor­liegen­den Fall bestand kein sach­lich­er Grund für die Kon­tak­tauf­nahme. Zudem war der befragte poten­tielle Zeuge vor allem ein poten­tieller Tatverdächtiger, und die Frage des Pflichtvertei­di­gers des Angeschuldigten war geeignet, den Tatver­dacht auf den befragten Zeu­gen zu lenken. Angesichts dessen schützte das BGer das Urteil der Vorin­stanz (KGer SG), die den Diszi­pli­nar­entscheid der Anwalt­skam­mer SG bestätigt hat­te (Busse von CHF 6000).