1B_308/2010: Keine Vorwirkung der JStPO; notwendige Verteidigung

Die ab 1. Jan­u­ar 2011 gel­tende Schweiz­erische Jugend­straf­prozes­sor­d­nung (JSt­PO) ent­fal­tet nach dem Bun­des­gericht keine Vor­wirkung, und zwar auch nicht zugun­sten der beschuldigten Per­son (Urteil 1B_308/2010 vom 22. Novem­ber 2010). Eben­so hat­te die höch­strichter­liche Recht­sprechung bere­its für die gle­ichzeit­ig in Kraft tre­tende Schweiz­erische Straf­prozes­sor­d­nung (StPO) entsch­ieden (Urteile 6B_901/2008 vom 23. Feb­ru­ar 2009 E. 2.3 und 6B_700/2009 vom 26. Novem­ber 2009 E. 2.2.3).

Im vor­liegen­den Ver­fahren hat der jugendliche Beschw­erde­führer, vertreten durch seinen Vater, einen Antrag auf amtliche Vertei­di­gung im Sinne der neuen JSt­PO gestellt, der von der Vorin­stanz abgelehnt wurde. Dage­gen gelangte er vor das Bun­des­gericht mit dem Vor­trag, es ver­stosse gegen den Grund­satz von Treu und Glauben sowie die Rechtssicher­heit, sich noch auf gel­tendes Recht zu stützen, welch­es in naher Zukun­ft nicht mehr in Kraft sein werde. Nach dem neuen Art. 24 lit. e JSt­PO (Notwendi­ge Vertei­di­gung) müsse der Jugendliche vertei­digt wer­den, wenn der Jugen­dan­walt bzw. die Jugend­staat­san­waltschaft an der Hauptver­hand­lung per­sön­lich auftrete, ohne dass es – wie nach derzeit gel­ten­dem Recht (vgl. Art. 40 Abs. 2 JStG) – auf die Schwere des Vor­wurfs und die Kom­plex­ität des Ver­fahrens ankomme.

Das Bun­des­gericht lehnte die Beschw­erde ab, weil die JSt­PO nicht vor Gel­tung angewen­det wer­den könne:

2.1 Wird ein Erlass, der noch nicht in Kraft ist, bere­its wie gel­tendes Recht angewen­det, so spricht man von pos­i­tiv­er Vor­wirkung. Eine solche pos­i­tive Vor­wirkung wider­spricht dem Geset­zmäs­sigkeit­sprinzip gemäss Art. 5 Abs. 1 BV und ist daher grund­sät­zlich unzulässig […].

Ein Antrag auf eine Pflichtvertei­di­gung nach Art. 40 Abs. 2 JStG wurde in casu nicht gestellt. Die Voraus­set­zun­gen hät­ten aber laut Bun­des­gericht auch nicht vorgele­gen (E. 2.2.2).