1C_224/2010, 1C_238/2010: Führerausweisentzug

X über­schritt auf der Auto­bahn die Höch­st­geschwindigkeit, die wegen zu hoher Fein­staub­w­erte auf 80 km/h her­abge­set­zt war, um 51 km/h (nach Tol­er­an­z­abzug). Er wurde daraufhin wegen ein­fach­er Ver­let­zung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 1 SVG zu ein­er Busse von Fr. 1’400.– verurteilt; zudem wurde ihm der Führerausweis in Anwen­dung von Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG (mit­telschwere Wider­hand­lung) für einen Monat entzogen.

X erhob dage­gen Beschw­erde mit der Begrün­dung, dass sein Ver­hal­ten nur den Tatbe­stand ein­er leicht­en Wider­hand­lung nach Art. 16a SVG erfülle, was vom Bun­des­gericht abgewiesen wurde. Es fol­gte stattdessen dem Antrag des Bun­de­samts für Strassen (ASTRA), das eben­falls Beschw­erde ein­gere­icht hat­te. Das Gericht erkan­nte in seinem Urteil vom 6. Okto­ber 2010 (vere­inigte Ver­fahren 1C_224/2010 und 1C_238/2010) auf eine schwere Wider­hand­lung nach Art. 16c SVG und ver­längerte den Entzug des Führerausweis­es auf drei Monate. Darin liegt kein Ver­stoss gegen das Ver­bot der refor­ma­tio in peius, da das Bun­des­gericht einen ange­focht­e­nen Entscheid zum Nachteil des Betrof­fe­nen ändern darf, wenn es wie hier von ein­er Bun­des­be­hörde, welche die ein­heitliche Anwen­dung des Bun­desrechts sich­er­stellen soll, angerufen wird (Urteil 1C_222/2008 vom 18. Novem­ber 2008 E. 2.6).

3.3 Nach der Recht­sprechung ist ungeachtet der konkreten Umstände ein objek­tiv schw­er­er Fall gegeben, wenn der Lenker die Höch­st­geschwindigkeit auf ein­er Auto­bahn um 35 km/h oder mehr über­schre­it­et. Diese fixe Lim­ite ist angesichts der Häu­figkeit von Geschwindigkeit­süber­schre­itun­gen unab­d­ing­bar. Der damit ein­herge­hende Schema­tismus gewährleis­tet ihre rechts­gle­iche Behand­lung (BGE 133 II 331 E. 3.1 S. 334; 132 II 234 E. 3 S. 237 f.). Daran ändert auch die umweltschützerische Moti­va­tion ein­er Geschwindigkeits­be­gren­zung nichts. Ein­er­seits basieren auch die all­ge­meinen auf Auto­bah­nen zuläs­si­gen Höch­st­geschwindigkeit­en vor­wiegend auf Umweltschutz­grün­den. Ander­er­seits steigt die Gefährdung kor­rekt fahren­der Fahrzeu­glenker mit der Zunahme der Geschwindigkeit­süber­schre­itung. Auf die Inten­sität dieser Gefährdung hat das Motiv der Begren­zung der Geschwindigkeit keinen Ein­fluss (vgl. BGE 113 Ib 143 E. 3 S. 146 f.). Der Geset­zge­ber hat anlässlich der Revi­sion des Strassen­verkehrs­ge­set­zes (in Kraft seit 1. Jan­u­ar 2005) darauf verzichtet, die schema­tisierende Recht­sprechung geset­zlich zu ver­ankern. Er hat sie aber nicht in Frage gestellt, son­dern vielmehr im Geset­zge­bungsver­fahren darauf Bezug genom­men (vgl. Urteil 1C_83/2008 vom 16. Okto­ber 2008 E. 2.6 mit Hin­weisen). Es beste­ht kein Anlass, auf diese Recht­sprechung zurückzukommen. […]


Auch die Argu­men­ta­tion des X, es sei auch deshalb auf eine nur leichte Wider­hand­lung gegen Art. 16a SVG zu schliessen, weil das Strafgericht sein Ver­hal­ten als eine bloss ein­fache Ver­let­zung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 1 SVG bew­ertet hat­te, überzeugt das Bun­des­gericht nicht.

4.2 […] In der rechtlichen Würdi­gung dieses Sachver­halts – namentlich des Ver­schuldens – ist die Ver­wal­tungs­be­hörde frei, auss­er die rechtliche Qual­i­fika­tion hängt stark von der Würdi­gung der Tat­sachen ab, die das Strafgericht bess­er ken­nt, etwa weil es den Beschuldigten per­sön­lich ein­ver­nom­men hat (Urteil 1C_71/2008 vom 31. März 2008 E. 2.1; Urteil 1C_7/2008 vom 24. Juli 2008 E. 3; BGE 124 II 103 E. 1c/bb S. 107). […] Die straf- und ver­wal­tungsrechtlichen Sank­tio­nen wer­den von ver­schiede­nen Behör­den aus­ge­sprochen und erge­hen in unter­schiedlichen Ver­fahren mit je sep­a­rat­en Rechtsmit­telmöglichkeit­en. Ihre Funk­tio­nen sind nicht iden­tisch. Der Entzug des Führerausweis­es weist zwar strafrechtliche Züge auf, wird aber um der Verkehrssicher­heit willen ange­ord­net und ist eine von der Strafe unab­hängige Ver­wal­tungs­mass­nahme mit präven­tivem und erzieherischem Charak­ter (BGE 133 II 331 E. 4.2 S. 336). Von der strafrechtlichen Sank­tion kann deshalb nicht immer ohne Weit­eres auf die anzuord­nende Ver­wal­tungs­mass­nahme geschlossen wer­den. Unter diesem Blick­winkel kann das Ver­schulden aus strafrechtlich­er Sicht in einem anderen Lichte erscheinen als bei der Beurteilung der Ver­wal­tungs­mass­nahme. Die strafrechtliche Qual­i­fika­tion des Ver­schuldens nach Art. 90 Ziff. 1 SVG schliesst deshalb die Anwen­dung von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG nicht aus (vgl. Urteil 1C_383/2009 vom 30. März 2010 E. 2.2; 1C_222/2008 vom 18. Novem­ber 2008 E. 2.4; BGE 124 II 475 E. 2b S. 478). […]