6B_644/2009: Psychiatrisches Gutachten, verminderte Schuldfähigkeit

Im Urteil vom 23. Novem­ber 2009 (6B_644/2009) beschäftigt sich das Bun­des­gericht mit der sachver­ständi­gen Begutach­tung, die gemäss Art. 20 StGB anzuord­nen ist, wenn ein ern­sthafter Anlass beste­ht, an der Schuld­fähigkeit des Täters zu zweifeln. Eine Begutach­tungspflicht beste­he dann, wenn sich die Tataus­führung als solche durch Auf­fäl­ligkeit­en auszeichne.

1.2 […] Indessen genügt nicht jede ger­ingfügige Her­ab­set­zung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, um ver­min­derte Zurech­nungs­fähigkeit anzunehmen. Die Geis­tesver­fas­sung des Betrof­fe­nen muss in hohem Masse in den Bere­ich des Abnor­men fall­en und von jen­er der durch­schnit­tlichen Ver­brechensgenossen abwe­ichen, weil der Begriff des „nor­malen Men­schen“ nicht eng zu fassen ist (BGE 116 IV 273 E. 4a und b). Die Notwendigkeit, einen Sachver­ständi­gen zuzuziehen, ist erst gegeben, wenn Anze­ichen vor­liegen, die geeignet sind, Zweifel hin­sichtlich der vollen Schuld­fähigkeit zu erweck­en, wie etwa ein Wider­spruch zwis­chen Tat und Täter­per­sön­lichkeit oder völ­lig unüblich­es Ver­hal­ten. Zeigt das Ver­hal­ten des Täters vor, während und nach der Tat, dass ein Real­itäts­bezug erhal­ten war, dass er sich an wech­sel­nde Erfordernisse der Sit­u­a­tion anpassen bzw. auf eine Gele­gen­heit zur Tat warten kon­nte, so hat eine schwere Beein­träch­ti­gung nicht vorgele­gen (BGE 133 IV 145 E. 3.3. S. 147 f. mit Hin­weisen). Ob der Richter Zweifel an der Schuld­fähigkeit haben sollte, ist eine Ermessens­frage (BGE 102 IV 225 E. 7b S. 226 f. mit Hinweisen).