1C_381/2009: Internationale Rechtshilfe und Auslieferung; „Electronic Monitoring“

Mit Urteil vom 13. Okto­ber 2009 (1C_381/2009) hat sich das Bun­des­gericht zu Ersatz­mass­nah­men im Rah­men eines Aus­liefer­ungsver­fahrens geäussert und die Beschw­erde gegen einen Aus­liefer­ung­shaft­be­fehl teil­weise gutgeheissen.

Zunächst stellt das Gericht klar, dass die – auch bei einem Zwis­ch­enentscheid erforder­liche – Ein­tretensvo­raus­set­zung des beson­ders bedeu­ten­den Fall­es nach Art. 84 Abs. 1 BGG erfüllt ist:

1.2 […] Gemäss Art. 84 Abs. 2 BGG liegt ein beson­ders bedeu­ten­der Fall ins­beson­dere vor, wenn Gründe für die Annahme beste­hen, dass ele­mentare Ver­fahrens­grund­sätze ver­let­zt wor­den sind oder das Ver­fahren im Aus­land schwere Män­gel aufweist. Wie sich aus dem Wort „ins­beson­dere“ ergibt, umschreibt Art. 84 Abs. 2 BGG die Voraus­set­zun­gen des beson­ders bedeu­ten­den Fall­es nicht abschliessend. Ein solch­er Fall kann auch angenom­men wer­den, wenn sich eine rechtliche Grund­satzfrage stellt (BGE 133 IV 215 E. 1.2 S. 218 mit Hin­weis). So ver­hält es sich hier. Wie sich aus den fol­gen­den Erwä­gun­gen ergibt, stellt sich die Frage, ob – was die Vorin­stanz verneint – das „Elec­tron­ic Mon­i­tor­ing“ als Ersatz­mass­nahme für die Aus­liefer­ung­shaft in Betra­cht kommt. Dazu hat sich das Bun­des­gericht bish­er nicht näher geäussert. Ist hier dem­nach eine rechtliche Grund­satzfrage zu beant­worten, ist der vor­liegende Fall als beson­ders bedeu­tend im Sinne von Art. 84 BGG einzustufen.

Nach­dem es zu dem Schluss kommt, dass vor­liegend Flucht­ge­fahr bestand, erörtert das Gericht, ob diese Gefahr nicht durch Ersatz­mass­nah­men hätte geban­nt wer­den können:

3.5 Ist der Ver­fol­gte nicht hafter­ste­hungs­fähig oder recht­fer­ti­gen es andere Gründe, so kann das Bun­de­samt gemäss Art. 47 Abs. 2 IRSG anstelle der Haft andere Mass­nah­men zu sein­er Sicherung anord­nen. Diese Bes­tim­mung bildet die Grund­lage für die Anord­nung milder­er Ersatz­mass­nah­men anstelle der Aus­liefer­ung­shaft (BGE 117 IV 359 E. 1a S. 360; Urteile 1A.170/1997 vom 10. Juni 1997 E. 3d […]; G.69/1996 vom 8. August 1996 E. 8b). Sie spricht in der Mehrzahl von „anderen Mass­nah­men“ und ist offen for­muliert, enthält also keine abschliessende Aufzäh­lung in Betra­cht kom­mender Ersatz­mass­nah­men. Gemäss Art. 50 Abs. 4 IRSG gel­ten im Übri­gen für die Haf­tent­las­sung sin­ngemäss Art. 53–60 BStP […]. Diese Bes­tim­mungen regeln auss­chliesslich die Kau­tion. Nach der Recht­sprechung sind gle­ich­wohl weit­ere Ersatz­mass­nah­men möglich, auch wenn dafür keine aus­drück­liche geset­zliche Grund­lage beste­ht. Dies ergibt sich ins­beson­dere aus dem Grund­satz der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit (BGE 133 I 27 E. 3.2 S. 29 f. mit Hin­weisen). Dieser Grund­satz ist auch bei der Aus­liefer­ung­shaft zu berück­sichti­gen. Diese stellt wie die Unter­suchung­shaft einen Ein­griff in das Grun­drecht der per­sön­lichen Frei­heit nach Art. 10 Abs. 2 BV dar. Gemäss Art. 36 Abs. 3 BV müssen Ein­schränkun­gen von Grun­drecht­en ver­hält­nis­mäs­sig sein. Kann der Zweck der Aus­liefer­ung­shaft durch weniger ein­schnei­dende Mass­nah­men erre­icht wer­den, ist die Haft unver­hält­nis­mäs­sig und damit verfassungswidrig.

Lässt dem­nach das Recht­shil­fege­setz Raum für die Anord­nung des „Elec­tron­ic Mon­i­tor­ing“ als Ersatz­mass­nahme zur Aus­liefer­ung­shaft und ist der Ein­satz ein­er milderen Ersatz­mass­nahme ver­fas­sungsrechtlich geboten, sofern damit der Zweck der Aus­liefer­ung­shaft eben­so erre­icht wer­den kann, ist die Auf­fas­sung der Vorin­stanz abzulehnen, das „Elec­tron­ic Mon­i­tor­ing“ komme de lege lata nicht in Frage, weil es im Aus­liefer­ungsrecht nicht vorge­se­hen sei. Dass das „Elec­tron­ic Mon­i­tor­ing“ wed­er im Recht­shil­fe- noch im Bun­des­ge­setz über die Bun­desstrafrecht­spflege aus­drück­lich erwäh­nt wird, über­rascht im Übri­gen nicht, da man es bei Erlass dieser Geset­ze noch nicht kannte.

Gemäss Art. 49 Abs. 1 IRSG ist der Vol­lzug der Ver­fü­gun­gen nach Art. 47 IRSG – also unter anderem von Ersatz­mass­nah­men nach Art. 47 Abs. 2 IRSG – Sache der kan­tonalen Behör­den, hier des Kan­tons Basel-Land­schaft. Dieser prak­tiziert – wie dargelegt – das „Elec­tron­ic Mon­i­tor­ing“ seit 10 Jahren im Rah­men der Ver­suche im Bere­ich des Strafvol­lzugs. Ausser­dem sieht er das „Elec­tron­ic Mon­i­tor­ing“ als Ersatz­mass­nahme für Unter­suchung­shaft in sein­er Straf­prozes­sor­d­nung eben­falls seit 10 Jahren vor. Die notwendi­gen tech­nis­chen Ein­rich­tun­gen und das entsprechende Fach­wis­sen sind dort also vorhanden.

3.6 Die vor­liegende Sache ist schon deshalb nicht spruchreif, weil sich die Vorin­stanz nicht dazu geäussert hat, ob Kol­lu­sion­s­ge­fahr gegeben sei. Die Angele­gen­heit wird in Anwen­dung von Art. 107 Abs. 2 BGG an die Vorin­stanz zurück­gewiesen. Diese wird nochmals dazu Stel­lung zu nehmen haben, ob die Flucht­ge­fahr mit Ersatz­mass­nah­men hin­re­ichend geban­nt wer­den kann. Dabei wird sie davon auszuge­hen haben, dass das „Elec­tron­ic Mon­i­tor­ing“ als Ersatz­mass­nahme in Betra­cht kommt. Sollte die Vorin­stanz zum Schluss kom­men, Ersatz­mass­nah­men reicht­en insoweit aus, führte dies noch nicht zur Haf­tent­las­sung. Gemäss Art. 47 Abs. 1 lit. a IRSG kann von der Aus­liefer­ung­shaft abge­se­hen wer­den, wenn der Ver­fol­gte voraus­sichtlich sich der Aus­liefer­ung nicht entzieht und die Stra­fun­ter­suchung nicht gefährdet. Bei­de Voraus­set­zun­gen müssen kumu­la­tiv gegeben sein (BGE 130 II 306 E. 2.3.1 S. 310; 111 IV 108 E. 3b S. 111). Die Haf­tent­las­sung käme somit nur in Frage, wenn keine Kol­lu­sion­s­ge­fahr bestünde bzw. diese durch mildere Ersatz­mass­nah­men geban­nt wer­den könnte.