4A_66/2009: Rechtsmissbrauch durch verzögerte bzw. zweckwidrige Rechtsausübung im Arbeitsverhältnis

Das Bun­des­gericht bestätigt ein Urteil des Kan­ton­s­gerichts Wal­lis, das einen Anwen­dungs­fall des Rechtsmiss­brauchsver­bots bejaht hat­te: Gemäss dem Arbeitsver­trag eines nach Einzelleis­tung bezahlten Che­farzt war das Gehalt für Ferien im Lohn inbe­grif­f­en. Einige Jahre später wurde gerichtlich fest­gestellt, dass wed­er der Ver­trag noch die einzel­nen Abrech­nun­gen Angaben zum Ferien­lohnan­teil enthiel­ten. Dies ist grund­sät­zlich (aber nicht aus­nahm­s­los, s. sogl. unten) aber erforder­lich, wenn der Ferien­lohn mit dem gewöhn­lichen Lohn aus­bezahlt werde. Die betr­e­f­fende Klausel wurde als nichtig erachtet.

Die Beru­fung auf diese Nichtigkeit wurde indessen — zu Recht, wie das BGer fes­thielt — als rechtsmiss­bräuch­lich, weil verzögert, erachtet. Entschei­dend war dabei die Erwä­gung, dass der Che­farzt dieser Regelung bewusst zuges­timmt und die Beschw­erdegeg­n­er erst nachträglich auf deren Unzuläs­sigkeit hingewiesen hat­te, so dass sie ihre Inter­essen nicht wahren kon­nte. Da der Che­farzt Mit­glied der “com­mis­sion des intérêts des hos­pi­tal­iers” war, wurde ihm das Wis­sen um die Ungültigkeit der fraglichen Klausel angerech­net bzw. unter­stellt (was als Tat­frage für das BGer verbindlich war):

Kon­nte die Vorin­stanz ohne Willkür davon aus­ge­hen, der Beschw­erde­führer habe mit der Gel­tend­machung der Nichtigkeit der Vere­in­barung der­art lange zuge­wartet, dass der anderen Partei dadurch verun­möglicht wurde, ihre eige­nen Inter­essen zu wahren, durfte sie gestützt darauf ohne Bun­desrechtsver­let­zung Rechtsmiss­brauch bejahen.”

Entschei­dend war das Wis­sen des Che­farztes allerd­ings nicht, denn die Recht­sausübung war aus Sicht des BGer nicht nur verzögert, son­dern auch noch zweckwidrig:

Art. 329d OR sichert dem Arbeit­nehmer die nötige Erhol­ung frei von finanziellen Sor­gen. Diesem Zweck kön­nte eine Abrede über den Ferien­lohn, wie sie die Parteien getrof­fen haben, unter Umstän­den zuwider­laufen. Dass dies jedoch beim Beschw­erde­führer nicht der Fall war, ergibt sich aus seinen eige­nen Vor­brin­gen. Die von der angerufe­nen Norm zu schützen­den Inter­essen wur­den gewahrt.”

Das Urteil ist insofern inter­es­sant, als das Bun­des­gericht im Sinne ein­er Even­tu­al­be­grün­dung die Zweck­widrigkeit der (wohl verzögerten) Recht­sausübung anerkan­nt hat. Bei­de Begrün­dun­gen des Rechtsmiss­brauchs dürften häu­fig zusam­men­fall­en. Scheit­ert der Nach­weis des Wis­sens, das eine Voraus­set­zung ein­er vor­w­erf­baren Verzögerung ist, kann allen­falls die Beru­fung auf die Zweck­widrigkeit (die ein Wis­sen erst bei Gel­tend­machung des Rechtsmiss­brauchs voraus­set­zt) helfen.