4A_227/2007: Erwerbsschaden, OR 42 II und perte d’une chance

Ein unter dem Ein­fluss mehrerer Betäubungsmit­tel (u.a. Methadon) und Alko­hol (0.38 ‰) ste­hen­der Autolenker ver­let­zte nachts einen die Strasse über­queren­den Fuss­gänger. Der Fuss­gänger wurde später vom Vor­wurf der Verkehrsregelver­let­zung (wohl SVG 90 I iVm 49 II) freige­sprochen. Der Unfall führte zu ein­er Kniev­er­let­zung und zur vorüberge­hen­den voll­ständi­gen Erwerb­sun­fähigkeit des Fuss­gängers, einem selb­ständig erwerb­stäti­gen Tax­i­fahrer. Am Tag vor dem Unfall hat­te der Fuss­gänger mit einem Drit­ten einen Ver­trag über Chauf­feur­di­en­stleis­tun­gen geschlossen, wofür der Fuss­gänger mit total CHF 34’000 hätte entlöh­nt wer­den sollen (CHF 680/Tag). Auf Klage des Tax­i­fahrers gegen den Haftpflichtver­sicher­er sprach ihm (dem Tax­i­fahrer…) ca. CHF 62’000 zu, indem es fes­thielt, dass das Ver­schulden des Lenkers schw­er wiege und gle­ichzeit­ig dem Tax­i­fahrer kein Ver­schulden zur Last falle. Die zweite Instanz erhöhte die Beträge auf ins­ge­samt ca. CHF 180’00 (davon ca. CHF 8000 als Genugtuung).

Strit­tig war zunächst die Befreiung des Lenkers nach SVG 59 I (Nach­weis u.a. fehlen­den eige­nen Ver­schuldens und schw­eren Ver­schuldens des Geschädigten). Das BGer schützte (auch unter dem Aspekt der Begrün­dungspflicht, BV 29 II) die Beweiswürdi­gung — ein­schliesslich antizip­iert­er Beweiswürdi­gung (Verzicht auf ein tech­nis­ches Unfallgutacht­en) — der Vorin­stanz, die dem Urteil des Strafrichters gefol­gt war (kein Ver­schulden des Tax­i­fahrers). Da die Befreiung nach SVG 59 I damit gescheit­ert war und fol­glich die Kausal­haf­tung griff, brauchte die Vorin­stanz den Kausalzusam­men­hang zwis­chen dem Ver­schulden des Lenkers (Fahren unter dem Ein­fluss von Betäubungsmit­teln) und dem Unfall nicht zu prüfen. 

Fraglich war fern­er die Bes­tim­mung des Erwerb­ss­chadens; zum Einkom­men aus dem Taxi­di­enst addierte die Vorin­stanz das hypo­thetis­che Einkom­men aus den erwarteten Chauf­feur­di­en­sten. Der beschw­erde­führende Ver­sicher­er berief sich darauf, dass die Vorin­stanz einen Teil der hypo­thetis­chen Gewinne nach der The­o­rie der “perte d’une chance” angerech­net habe. Das BGer lehnte den Ein­wand ab, weil die betr­e­f­fend­en hypo­thetis­chen Einkün­fte nicht den aleatorischen Charak­ter hat­ten, der ein­er “chance” eigen ist:

En l’e­spèce, quoi qu’en dis­ent les juges can­tonaux, le raison­nement qu’ils ont suivi ne procède pas de l’ap­pli­ca­tion de la théorie de la perte d’une chance. En effet, l’au­torité précé­dente n’a pas con­sid­éré comme dom­mage la prob­a­bil­ité que le deman­deur obti­enne un enjeu total. Elle a retenu comme cer­tain que le deman­deur a été empêché, du fait de l’ac­ci­dent, de réalis­er un gain; seule l’é­ten­due de ce gain man­qué — soit l’é­ten­due du dom­mage dans son accep­tion clas­sique (…), et non dans le sens de la perte d’une chance — présen­tait un car­ac­tère aléatoire.”

Mit Bezug auf andere, weniger wahrschein­liche Einkün­fte aus anderen Chauf­feur­di­en­stleis­tun­gen hat­te die Vorin­stanz unter der Annahme ein­er Beweis­not OR 42 II angewen­det. Die Schadenss­chätzung der Vorin­stanz ent­zog sich als Tat­frage ein­er Über­prü­fung durch das BGer (die Anwen­dung von OR 42 II als solche, eine Rechts­frage, war korrekt).

Auch in Bezug auf die Genug­tu­ung (SVG 62 I iVm OR 47) schützte das BGer das Urteil der Vorinstanz.